Rz. 67
Wer die Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen schuldhaft selbst schafft, kann nicht erwarten, dass er Hilfe aus Mitteln der Allgemeinheit erhält. Deshalb haben Personen keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, die in den letzten 10 Jahren ihre Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Hierdurch will der Gesetzgeber vor allem verhindern, dass Grundsicherungsleistungen missbräuchlich in Anspruch genommen werden (BT-Drs. 14/5150 S. 49). Der Sozialhilfeträger muss das vorsätzliche oder grob fahrlässige Verhalten nachweisen (Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 41 Rz. 29).
Rz. 68
Vorsätzlich handelt, wer seine Bedürftigkeit wissentlich und willentlich herbeiführt, indem er z. B. sein gesamtes Vermögen verschenkt, ohne Rücklagen für das Alter zu bilden (BT-Drs. 14/5150 S. 49; Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 41 Rz. 23). Der Hilfesuchende muss die künftige Bedürftigkeit vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Nicht erforderlich ist, dass die Bedürftigkeit gewünscht oder beabsichtigt war. Unerheblich ist auch, ob der Vermögensverlust rechtlich oder sittlich zu missbilligen ist. Hat der Hilfesuchende sein Vermögen verschenkt, kann er den Wert der Schenkung gemäß § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 818, 819 Abs. 1 BGB) zurückverlangen (Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 41 Rz. 24). Ist dieser Herausgabeanspruch realisierbar, besteht für Grundsicherungsleistungen kein Bedürfnis. Ist der Rückforderungsanspruch nicht durchsetzbar, etwa weil der Beschenkte sich auf Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) oder sonstige Einreden (§§ 529, 534 BGB) beruft, greift der Leistungsausschluss des § 41 Abs. 3 (vgl. hierzu Begründung BT-Drs. 14/4595 S. 73; Brühl/Schoch, LPK-SGB XII, § 41 Rz. 32). In diesen Fällen muss der Antragsteller auf die Hilfe zum Lebensunterhalt zurückgreifen, die auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche beschränkt werden kann (§ 26 Abs. 1 Nr. 1). Der Sozialhilfeträger kann dann die Angehörigen in Regress nehmen und von dem Betroffenen gemäß § 103 Kostenersatz fordern.
Rz. 69
Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt (vgl. hierzu § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 HS 2 SGB X). Das ist der Fall, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und der Hilfesuchende nicht beachtet hat, was in der konkreten Situation jedem einleuchten musste (OVG Münster, Urteil v. 23.5.1990, 8 A 2224/87, NVwZ-RR 1990 S. 614, 615 = NDV 1990 S. 431, 432 = ZfS 1990 S. 341, 342 = FEVS 41 S. 432; Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 41 Rz. 23; Kreiner, in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 41 Rz. 30). Grobe Fahrlässigkeit erfordert in objektiver Hinsicht also einen besonders schweren Sorgfaltspflichtverstoß, der das Maß der einfachen ("gewöhnlichen") Fahrlässigkeit erheblich übersteigt, und setzt in subjektiver Hinsicht persönliche Vorwerfbarkeit voraus. Deshalb müssen bei der groben Fahrlässigkeit auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände berücksichtigt werden (vgl. Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 277 Rz. 5).
Wer sein Vermögen z. B. sinnlos verschleudert oder durch leichtsinnige Spekulationen verliert, ohne Rücklagen für das Alter zu bilden, führt seine Bedürftigkeit grob fahrlässig herbei (Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 41 Rz. 24). Dasselbe kann für Ehegatten gelten, die bei der Ehescheidung auf ihre Unterhaltsansprüche verzichten und hierdurch ihre Bedürftigkeit herbeiführen (a. A. Schoch, in: LPK-GSiG, § 2 Rz. 96). Daran fehlt es, wenn der Unterhaltsverzicht rein deklaratorisch war, weil der Ehegatte nur auf einen Unterhaltsanspruch ohne rechtliche oder wirtschaftliche Substanz, d. h. auf eine "leere Hülse" verzichtet hat (vgl. hierzu BSG, Urteile v. 15.12.1988, 4/11a RA 42/86, SozR 2200 § 1265 Nr. 92, und v. 19.1.1989, 4/11 RA 72/87 und 4 RA 16/88, SozR 2200 § 1265 Nr. 93, 94).
Rz. 70
Zwischen dem schuldhaften Verhalten (Handeln oder Unterlassen) und der Bedürftigkeit muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 41 Rz. 42; Münder, NJW 2002 S. 3661, 3662). War die (vermögensmindernde) Handlung nur eine von mehreren Ursachen, kommt es darauf an, ob das vorwerfbare Verhalten die Bedürftigkeit wesentlich mitverursacht hat (Theorie von der wesentlichen Bedingung). War das Verhalten des Leistungsberechtigten sozialadäquat, ist der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen in jedem Fall gegeben (Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 Rz. 13).
Ob ein Handeln oder Unterlassen in der Vergangenheit dagegen sozialwidrig, d. h. aus Sicht der Solidargemeinschaft zu missbilligen war (Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 41 Rz. 41; Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, § 43 Rz. 5), kann nicht allgemein, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (BVerwG, U...