Rz. 24
Hauptursache der verschämten Altersarmut, die die Grundsicherung bekämpfen soll, ist die Furcht vor allem älterer Menschen, die eigenen Kinder könnten im Regresswege für die Unterhaltsleistungen der Sozialhilfe herangezogen werden. Deswegen schließen § 43 Abs. 5 (i. d. F. von Art. 3a des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch v. 22.12.2016 zum 1.7.2017), § 94 Abs. 1 Satz 3 HS 2 jeden Unterhaltsrückgriff auf Eltern und Kinder aus. Auch wenn nachgewiesen ist, dass sie über ein jährliches Einkommen von mehr als 100.000,00 EUR , erfolgt kein Unterhaltsrückgriff. In diesen Fällen entfällt jedoch der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen (Abs. 5 Satz 3). Der Hilfebedürftige kann in diesen Fällen lediglich einen Anspruch auf Sozialhilfe geltend machen, was dem Sozialhilfeträger wiederum den Unterhaltsrückgriff (§ 94 Abs. 1 Satz 1) ermöglicht.
Das BVerfG hat mit Urteil v. 7.6.2005 (1 BvR 1508/96, BVerfGE 113 S. 88 = NJW 2005 S. 1927 = FamRZ 2005 S. 1051 = FuR 2005 S. 376 = NDV-RD 2005 S. 61 = JZ 2006 S. 313) den Elternunterhalt stark begrenzt und darauf hingewiesen, dass die unterhaltspflichtigen Kinder i. d. R. bereits eigene Kinder hätten, für die sie Unterhalt leisteten. Darüber hinaus müssten sie eine eigene Alterssicherung aufbauen. Aufgrund dieser Mehrfachbelastung (der sog. "Sandwich-Generation") habe der Gesetzgeber die Unterhaltspflicht erwachsener Kinder gegenüber ihren eigenen Eltern schwach ausgestaltet. Denn der Anspruch der Eltern trete hinter allen anderen Ansprüchen der Kinder, Ehegatten sowie der übrigen Abkömmlinge des Unterhaltspflichtigen als nachrangig zurück (§ 1609 BGB). Erst wenn der eigene angemessene Lebensunterhalt des Kindes gesichert sei (§ 1603 Abs. 1 BGB), könne es zum Elternunterhalt herangezogen werden. Gerade in den §§ 41ff. habe der Gesetzgeber verdeutlicht, dass erwachsene Kinder durch den Elternunterhalt nicht überlastet werden dürften und als Richtschnur in § 43 Abs. 5 die Einkommensgrenze von 100.000,00 EUR jährlich eingeführt. Damit entlasse er die Kinder zwar nicht gänzlich aus der Pflicht zum Elternunterhalt. Bei der Frage, ob sie im Einzelfall tatsächlich unterhaltsverpflichtet seien, müsse aber ihre besondere Belastungssituation und die Nachrangigkeit des Elternunterhalts berücksichtigt werden.
Diesem Ansatz folgt auch der BGH in seinem Urteil v. 30.8.2006 (XII ZR 98/04, NJW 2006 S. 3344 = FamRZ 2006 S. 1511). Danach dürfen Kinder ein angemessenes Vermögen für die Altersvorsorge in Höhe von 100.000,00 EUR behalten, das sie nicht für den Elternunterhalt einsetzen müssen. Damit kommt es faktisch zu einer Harmonisierung von Unterhaltsrecht und Grundsicherungsleistungen (kritisch dazu: Grube/Wahrendorf, SGB XII, Vor § 41 Rz. 6); das Nachrangprinzip des § 2 wird durchbrochen. Im zivilrechtlichen Unterhaltsprozess können Kinder und Eltern den jeweiligen Unterhaltsgläubiger (und Leistungsberechtigten) vorrangig auf Grundsicherungsleistungen verweisen. Macht der Unterhaltsgläubiger diese Leistungen nicht geltend, werden sie im unterhaltsrechtlich fiktiv auf den Bedarf angerechnet (Hußmann, FPR 2004 S. 534, 530; ders., ZEV 2005 S. 54, 57; Klinkhammer, FamRZ 2002 S. 997).
Neben diesem weitgehenden Verzicht auf den Unterhaltsrückgriff gegen nähere Angehörige schließt § 102 Abs. 5 den Ersatz der Kosten durch die Erben – anders als § 35 SGB II – ausdrücklich aus.
Den Grundsatz, dass im Rahmen der Grundsicherung auf einen Unterhaltsrückgriff weitgehend verzichtet wird, greifen nunmehr auch die in den Sätzen 1 und 2 des § 43 Abs. 5 durch Art. 3a des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch v. 22.12.2016 eingefügten Änderungen auf, wie nachfolgend noch aufgezeigt wird. Die Änderungen traten mit Wirkung vom 1.7.2017 in Kraft. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/9984) werde durch die Neufassung verdeutlicht, dass Unterhaltsansprüche von Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern oder Eltern grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Dies entspreche dem seit Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung geltenden Grundsatz, dass ältere und dauerhaft voll erwerbsgeminderte Menschen einen von Unterhaltsansprüchen unabhängigen Anspruch haben.
2.5.1 Unterhaltsansprüche des Leistungsberechtigten
Rz. 25
Unterhaltsansprüche berechtigen Personen, die Mittel zur Bestreitung ihres Lebensbedarfs ganz oder teilweise von einem anderen zu verlangen. Üblicherweise entstehen derartige Ansprüche unmittelbar kraft Gesetzes, und zwar zwischen
Rz. 26
Nach Abs. 5 Satz 1 bleiben nur die Unterhaltsansprüche zwischen Personen unberücksichtigt, die in gerader Linie im ersten Grad (§ 1589 Satz 1 und 3 BGB) miteinander verwandt...