Rz. 3
§ 79a ist ein Anwendungsfall der außerordentlichen Kündigung. Wegen der damit für den Leistungserbringer verbundenen erheblichen Folgen – insbesondere des Eintretens eines vertragslosen Zustands – und der Auswirkungen auf die Berufsfreiheit des Einrichtungsträgers (Art. 12 GG) werden an die tatbestandlichen Voraussetzungen hohe Anforderungen gestellt.
Voraussetzung ist zunächst eine grobe Pflichtverletzung. Der Begriff "grob" hat dabei nur insoweit eine klarstellende Bedeutung, dass nicht jede Pflichtverletzung erfasst wird, sondern nur eine solche, die der Gegenseite ein weiteres Festhalten am Vertrag unzumutbar macht. Wann von einer Unzumutbarkeit der Weiterführung des Vertrages auszugehen ist, richtet sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles. Im Hinblick auf Art. 12 GG wird aber zu fordern sein, dass die fristlose Kündigung die Ultima ratio ist. Zuvor sind insbesondere die Möglichkeiten der Vertragsanpassung nach § 59 SGB X zu prüfen, der nach Satz 4 ausdrücklich weiter anwendbar bleibt.
Bei der Prüfung, ob die Kündigung das letzte verbleibende Mittel ist, ist auch die Situation des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen und zu prüfen, welche Auswirkungen die außerordentliche Kündigung auf seine Situation hat (zu weiteren Kriterien vgl. z. B. Rabe, in: Fichtner/Wenzel, 4. Aufl. 2009, § 78 Rz. 1).
Rz. 4
Satz 2 konkretisiert beispielhaft die Fälle, in denen eine grobe Pflichtverletzung anzunehmen ist. Die Aufzählung ist nicht abschließend (allg. M.: Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, 2. Aufl. 2008, § 78 Rz. 4; Rabe, in: Fichtner/Wenzel, 4. Aufl. 2009, § 78 Rz. 1). Der Leistungsberechtigte kann dabei sowohl durch einen gravierenden Pflegefehler als auch z. B. durch Straftaten von Mitarbeitern der Pflegeeinrichtung zu Schaden kommen, soweit diese dem Träger der Einrichtung (in entsprechender Anwendung von §§ 278, 831 BGB) zuzurechnen sind. Ebenso wird als grobe Pflichtverletzung der Fall angesehen, in dem die Einrichtung gegenüber dem Sozialhilfeträger nicht erbrachte Leistungen abrechnet. Im Hinblick auf Art. 12 GG wird über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu fordern sein, dass dies schuldhaft im Sinne zumindest leichter Fahrlässigkeit geschieht. Daran fehlt es z. B., wenn über die Rechtmäßigkeit der Abrechnung Streit herrscht, der gerichtlich ausgetragen wird, ohne dass bereits eine gefestigte Rechtsprechung besteht.
Zu den fristlosen Kündigungsgründen zählen weiter gravierende Mängel bei der Leistungserbringung. Dass hierdurch bereits Leistungsberechtigte zu Schaden gekommen sind, wird nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht gefordert.
Das Vorliegen eines der in Satz 2 genannten Regelbeispiele entbindet nicht von der Prüfung, ob im Einzelfall ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist (a. A. Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, 2. Aufl. 2008, § 78 Rz. 5, der von einer dort geregelten unwiderlegbaren Vermutung ausgeht). Dagegen steht das der Vorschrift zugrunde liegende Ultima-ratio-Prinzip. Daher berechtigt z. B. nicht jede Falschabrechnung zur fristlosen Kündigung. Vielmehr müssen die Abrechnungen nach Zahl, Dauer oder Höhe von einem solchen Gewicht sein, dass ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist.
Ein Sonderfall der fristlosen Kündigung ist schließlich, dass dem Träger der Einrichtung nach heimrechtlichen Vorschriften die Betriebserlaubnis entzogen oder der Betrieb der Einrichtung untersagt wird (vgl. § 79a Satz 2 Nr. 4). Bislang bezog sich die Bestimmung nur auf entsprechende Maßnahmen nach dem HeimG. Dieses sieht freilich seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des HeimG v. 3.2.1997 (BGBl. I S. 158) eine Betriebserlaubnis für Heime nicht mehr vor; vielmehr reicht die Anzeige des beabsichtigten Betriebs nach § 12 HeimG aus. Mithin scheidet auch eine Entziehung der Betriebserlaubnis aus. Im Rahmen des HeimG ist die Regelung des § 78 daher nur auf Untersagungsverfügungen nach § 19 HeimG anwendbar. Die seit dem 1.10.2009 geltende Neufassung ist eine redaktionelle Folgeänderung aufgrund der Föderalismusreform. Da die Zuständigkeit für das Heimrecht im Bereich der öffentlichen Fürsorge auf die Länder übergegangen ist, fallen auch die in § 78 Satz 2 beschriebenen Tatbestände in deren Zuständigkeitsbereich. Die Vorschrift stellt klar, dass auch die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen erfasst werden (vgl. BT-Drs. 16/12409 S. 31).
Weitere grobe Pflichtverletzungen, die zur fristlosen Kündigung berechtigen können, jedoch nicht ausdrücklich genannt sind, können z. B. sein: die Weigerung, Hilfebedürftige aufzunehmen und zu pflegen oder die Geltendmachung von Forderungen gegenüber den Hilfebedürftigen, die nicht gegenüber diesen erhoben werden dürfen (z. B. von nicht anerkannten Investitionskosten).
Da eine Pflichtverletzung gegenüber den Leistungsberechtigten ausreicht, kann grundsätzlich auch eine Verfehlung gegenüber einem Selbstzahler als Kündigungsgrund ausreichen (str.; wie hier: Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, 2. Aufl. 2008, § 78 Rz. 4; a. A. Münder, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 78 Rz. 1). I...