0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde durch Art. 13 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) mit Wirkung zum 1.1.2020 eingeführt und entspricht dem bisherigen § 78.
1 Allgemeines
Rz. 2
Auch künftig ist der Träger der Sozialhilfe in Fällen einer groben Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten durch den Leistungserbringer zur vorzeitigen Beendigung der Vereinbarung im Wege der außerordentlichen Kündigung berechtigt. Die Vorschrift dient nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/9522 S. 344) insbesondere dem Schutz der Leistungsberechtigten, da in diesen Fällen regelmäßig davon ausgegangen werden muss, dass eine qualitativ angemessene Leistungserbringung nicht mehr gewährleistet ist.
Die Vorschrift stellt die im Wesentlichen unveränderte Übernahme von § 93c BSHG in das SGB XII dar. Die Abkehr vom Begriff der "gröblichen" Pflichtverletzung hin zum Erfordernis einer "groben" Pflichtverletzung war im Rahmen der Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB zumindest nicht zwingend geboten, zumal damit offensichtlich keine inhaltliche Änderung bezweckt war. Immerhin entsprach die "gröbliche" Pflichtverletzung einer allgemein im SGB verwandten Formulierung, die eine fristlose Trennung von Leistungserbringern ermöglicht (vgl. § 95 Abs. 6 SGB V für Vertragsärzte und § 74 SGB XI für Pflegeeinrichtungen). Gegenüber § 74 SGB XI, der ein Kündigungsrecht jeder Vertragspartei vorsieht, enthält § 78 ein Kündigungsrecht allein des Sozialhilfeträgers.
Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung von Vereinbarungen nach § 75 wird durch die Vorschrift des § 78 nicht ausgeschlossen (ebenso Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, 2. Aufl. 2008, § 78 Rz. 3; Neumann, in: Hauck/Noftz, § 78 Rz. 10).
2 Rechtspraxis
Rz. 3
§ 79a ist ein Anwendungsfall der außerordentlichen Kündigung. Wegen der damit für den Leistungserbringer verbundenen erheblichen Folgen – insbesondere des Eintretens eines vertragslosen Zustands – und der Auswirkungen auf die Berufsfreiheit des Einrichtungsträgers (Art. 12 GG) werden an die tatbestandlichen Voraussetzungen hohe Anforderungen gestellt.
Voraussetzung ist zunächst eine grobe Pflichtverletzung. Der Begriff "grob" hat dabei nur insoweit eine klarstellende Bedeutung, dass nicht jede Pflichtverletzung erfasst wird, sondern nur eine solche, die der Gegenseite ein weiteres Festhalten am Vertrag unzumutbar macht. Wann von einer Unzumutbarkeit der Weiterführung des Vertrages auszugehen ist, richtet sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles. Im Hinblick auf Art. 12 GG wird aber zu fordern sein, dass die fristlose Kündigung die Ultima ratio ist. Zuvor sind insbesondere die Möglichkeiten der Vertragsanpassung nach § 59 SGB X zu prüfen, der nach Satz 4 ausdrücklich weiter anwendbar bleibt.
Bei der Prüfung, ob die Kündigung das letzte verbleibende Mittel ist, ist auch die Situation des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen und zu prüfen, welche Auswirkungen die außerordentliche Kündigung auf seine Situation hat (zu weiteren Kriterien vgl. z. B. Rabe, in: Fichtner/Wenzel, 4. Aufl. 2009, § 78 Rz. 1).
Rz. 4
Satz 2 konkretisiert beispielhaft die Fälle, in denen eine grobe Pflichtverletzung anzunehmen ist. Die Aufzählung ist nicht abschließend (allg. M.: Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, 2. Aufl. 2008, § 78 Rz. 4; Rabe, in: Fichtner/Wenzel, 4. Aufl. 2009, § 78 Rz. 1). Der Leistungsberechtigte kann dabei sowohl durch einen gravierenden Pflegefehler als auch z. B. durch Straftaten von Mitarbeitern der Pflegeeinrichtung zu Schaden kommen, soweit diese dem Träger der Einrichtung (in entsprechender Anwendung von §§ 278, 831 BGB) zuzurechnen sind. Ebenso wird als grobe Pflichtverletzung der Fall angesehen, in dem die Einrichtung gegenüber dem Sozialhilfeträger nicht erbrachte Leistungen abrechnet. Im Hinblick auf Art. 12 GG wird über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zu fordern sein, dass dies schuldhaft im Sinne zumindest leichter Fahrlässigkeit geschieht. Daran fehlt es z. B., wenn über die Rechtmäßigkeit der Abrechnung Streit herrscht, der gerichtlich ausgetragen wird, ohne dass bereits eine gefestigte Rechtsprechung besteht.
Zu den fristlosen Kündigungsgründen zählen weiter gravierende Mängel bei der Leistungserbringung. Dass hierdurch bereits Leistungsberechtigte zu Schaden gekommen sind, wird nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht gefordert.
Das Vorliegen eines der in Satz 2 genannten Regelbeispiele entbindet nicht von der Prüfung, ob im Einzelfall ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist (a. A. Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, 2. Aufl. 2008, § 78 Rz. 5, der von einer dort geregelten unwiderlegbaren Vermutung ausgeht). Dagegen steht das der Vorschrift zugrunde liegende Ultima-ratio-Prinzip. Daher berechtigt z. B. nicht jede Falschabrechnung zur fristlosen Kündigung. Vielmehr müssen die Abrechnungen nach Zahl, Dauer oder Höhe von einem solchen Gewicht sein, dass ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist.
Ein Sonderfall der fristlosen Kündigung is...