Rz. 4

Abs. 1 verpflichtet (Rechtsanspruch!) den Sozialhilfeträger, die erforderlichen, behinderungsbedingten Maßnahmen im vollen Umfang, d. h. einschließlich des Eigenanteils, vorzuleisten. Gleichzeitig erhält der Leistungserbringer mit dem Sozialhilfeträger einen solventen Schuldner. Durch das von der Vorschrift angeordnete sog. Bruttoprinizip soll der Zugang behinderter Menschen zu bestimmten, insbesondere Leistungen der Eingliederungshilfe erleichtert werden. Diese Leistungen sollen zeitnah erbracht werden können, ohne vorab ggf. aufwändige Prüfungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse einsatzpflichtiger Personen durchführen zu müssen. Der Nachrang der Sozialhilfe soll deshalb erst im Wege des (nachträglichen) Kostenbeitrags wiederhergestellt werden (BSG, Urteil v. 20.4.2016, B 8 SO 25/14 R, Rz. 20). Nur wenn der Hilfebedürftige, sein nicht getrennt lebender Ehegatte oder Lebenspartner oder die Eltern minderjähriger, unverheirateter Kinder die notwendigen Kosten der Maßnahme ausnahmsweise voll aufbringen können, entfällt die Vorleistungspflicht (BVerwG, Urteil v. 29.4.1993, 5 C 12/90, Buchholz 436.0, § 39 BSHG Rz. 9 = NVwZ-RR 1994 S. 102 = BVerwGE 92 S. 254; Hohm, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, § 92 Rz. 4;Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 92 Rz. 7; Wolf, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 92 Rz. 2; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 92 Rz. 7). Weigern sich jedoch die einsatzverpflichteten Dritten, die erforderlichen Mittel aufzubringen, kann eine Leistung nach § 19 Abs. 5 angezeigt sein.

2.1.1 Einrichtungen

 

Rz. 5

In stationären Einrichtungen lebt der Leistungsberechtigte und erhält dort alle Hilfen, die erforderlich sind, um seine Bedürfnisse zu decken. Dazu zählen Pflege, Behandlung und Erziehung (§ 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2). Tageseinrichtungen für Behinderte sind Werkstätten für Behinderte, Tagesförderungsstätten, Tageskindergärten und -sonderschulen (BVerwG, Urteil v. 22.5.1975, V C 19.74, Buchholz 436.0, § 40 BSHG Rz. 6 = BVerwGE 48 S. 228 = FEVS 23 S. 403), also Einrichtungen, in denen Behinderte tagsüber gefördert und betreut werden (Wolf, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 92 Rz. 3). Keine Tageseinrichtung liegt bei einem täglichen Aufenthalt von lediglich ca. 2 bis 3 Stunden vor (SG Hamburg, Urteil v. 25.6.2007, S 56 SO 440/06, Rz. 25).

2.1.2 Ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen

 

Rz. 6

Die Vorschrift erfasst die ambulante oder stationäre Behandlung durch Ärzte oder Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Verordnung hin ausgeführt werden. Die Maßnahmen müssen darauf abzielen, Behinderungen zu verhüten, zu beseitigen oder zu mildern. Dazu zählen Heilmittel (Bäder, Bestrahlungen, physikalische Therapien), Sprach-, Beschäftigungs-, Arbeits- und Verhaltenstherapien (in Form der ärztlichen oder psychotherapeutischen Psychotherapie) sowie Kurmaßnahmen und Belastungserprobungen. Auch Hilfsmittel können ärztlich verordnet werden und deshalb zum Leistungskatalog gehören.

2.1.3 Kostenbeitrag

 

Rz. 7

Bei dem Kostenbeitrag nach Abs. 1 Satz 2 handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Forderung, die der Sozialhilfeträger gegenüber dem Hilfebedürftigen und den sonstigen Personen, die in § 19 Abs. 3 genannt sind, durch Verwaltungsakt (Heranziehungsbescheid) geltend machen muss. Ihm steht insofern kein Ermessen zu. Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner (vgl. § 421 BGB), wie der HS 2 klarstellt. Die Höhe des Kostenbeitrags bestimmt sich nach §§ 82ff. und wird durch Abs. 2 zusätzlich begrenzt. Der Kostenbeitrag kann nur dann abverlangt werden, wenn die Hilfe zu Recht bewilligt wurde. Die Pflicht, die Kosten der Maßnahmen anteilig zu tragen entfällt, wenn die Hilfe zu Unrecht geleistet wurde (BVerwG, Urteil v. 23.6.1971, V C 12.71, Buchholz 436.0, § 43 BSHG Rz. 1 = BVerwGE 38 S. 205 = NDV 1971 S. 317; Wahrendorf, in: Grube/Wahredorf, SGB XII, § 92 Rz. 9). Der Kostenbescheid ist nachtäglich, d. h. nach Bewilligung der Leistung zu erlassen (vgl. BSG, Urteil v. 20.4.2016, B 8 SO 25/14 R, Rz. 20;SG Duisburg, Urteil v. 21.6.2016, S 48 SO 211/12; Behrend, in: Schlegel/Voelzke, SGB XII, § 92 Rz. 27.1; Bieritz-Harder, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, § 92 Rz. 3). Denn dem Konkretisierungszweck des Kostenbescheides liefe es zuwider, wenn die Kosten in einer Art Grundlagenbescheid für zukünftige Fälle "festgesetzt" würden. Die Vorschrift des § 92 Abs. 1 ermächtigt nicht zur Kostenbeitragsfestsetzung im Voraus. Zum Übergang von Ansprüchen vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 und 3.

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