Rz. 30
Das gestufte Erhebungsverfahren nach Abs. 3 soll die Verarbeitung persönlicher Daten in möglichst schonender Weise ermöglichen, indem zunächst (i. d. R.) nichtmedizinische Fragen des Versicherungsstatus und der möglichen Verursachung durch das angeschuldigte Ereignis geklärt werden (1. Stufe), bevor Auskünfte über Erkrankungen und frühere Erkrankungen des Versicherten von anderen Stellen oder Personen eingeholt werden (2. Stufe). Ein Beratungsarzt des Unfallversicherungsträgers ist bei Vorliegen eines Dienstvertrages höherer Art kein Dritter i. S. d. § 67 Abs. 10 Satz 2 SGB X und folglich keine "andere Stelle" oder "Person" i. S. d. Abs. 3 (Bay. LSG, Urteil v. 13.6.2013, L 17 U 239/11).
Rz. 31
Die Einschränkung der Nachrangigkeit bestimmter Erhebungen in einer 2. Stufe ist selbst mehrfach eingeschränkt:
- Zunächst bezieht sie sich nicht auf sonstige Daten des Betroffenen, etwa zu seinem Beschäftigungsverhältnis oder seinen Wohnanschriften (Erstkommentierung des UVEG, 10/96, § 199 Rz. 4).
- Außerdem können beim Versicherten selbst auch direkt in einer ersten Ermittlungsstufe medizinische Informationen abgefragt werden – dies ergibt sich neben dem Wortlaut der Vorschrift auch aus der allgemeinen Erwägung, dass der Sozialdatenschutz durch den Versicherten disponibel ist und dieser bei sofortiger Mitarbeit durch seine Einwilligung auch bewirken kann, dass das Verwaltungsverfahren in seinem Interesse schneller betrieben werden kann. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass ein gewisses Maß an Verzögerung in Kauf genommen wurde, bei einer drohenden erheblichen Verzögerung aber auch von Amts wegen eine Beschleunigung der Ermittlungen unter Verzicht auf die Stufenregelung in Abs. 3 vorzunehmen ist (BT-Drs. 13/4853 S. 22).
- Schließlich gilt das Nachrangverhältnis dann nicht, wenn erst die Kenntnis medizinischer Befunde die notwendigen Hinweise für die an sich vorrangigen Informationen über eine schädigende Einwirkung oder Tätigkeit geben können (Ricke, in: KassKomm. SGB VII, Stand 6/07, § 199 Rz. 7). So kann die haftungsausfüllende Kausalität bei einer Einwirkung oft nur dann zuverlässig beurteilt werden, wenn medizinische Daten über Vorerkrankungen vorliegen (insbesondere bei Berufskrankheiten und Unfällen aus innerer Ursache; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, Stand 5/03, § 199 Rz. 7.3).
Rz. 32
Hinreichende Anhaltspunkte bedeuten nicht die Gewissheit oder überwiegende Wahrscheinlichkeit der Kausalität, sondern deren Möglichkeit i. S. eines wohlbegründeten Anfangsverdachts, welcher die Berufsgenossenschaft zu weiteren Ermittlungen zwingt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist die Stufenregelung des Abs. 3 nicht mehr einschlägig. Der Hinweis für die Kausalität kann sich aus der Intensität der Einwirkung und dem Fehlen alternativer Erklärungsmöglichkeiten ergeben und sich dadurch zu einem gewissen wohlbegründeten Anfangsverdacht verdichten. Unabhängig von der inhaltlichen Qualität der Erkenntnisse kommt eine Begründung von hinreichenden Anhaltspunkten i. S. d. Abs. 3 der Vorschrift auch aufgrund formaler Kriterien in Betracht. So sind hinreichende Anhaltspunkte für den ursächlichen Zusammenhang auch schon dann zu bejahen, wenn eine qualifizierte Berufskrankheitenanzeige durch einen Arzt vorliegt (Kliegel, in: Lauterbach, SGB VII, Stand 3/98, § 199 Rz. 11 unter Hinweis auf § 202, wonach Ärzte beim Vorliegen eines begründeten Verdachts auf eine Berufskrankheit dies der Berufsgenossenschaft oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle unverzüglich anzuzeigen haben).
Rz. 33
Die Formulierung als Soll-Vorschrift stellt außerdem klar, dass der Vorrang der Sachverhaltsaufklärung mit internen oder externen, aber nichtmedizinischen Erkenntnisquellen dem Schutz des Versicherten dient und hiervon auch abgewichen werden kann, wenn etwa zum Nachteil des Versicherten hierdurch erhebliche Verzögerungen entstünden (BT-Drs. 13/4853 S. 22). Damit ist generell zu Beginn der Ermittlungen abzuwägen, inwiefern Datenschutzbelange das Stufenverfahren erfordern oder im Interesse des Versicherten direkt mit der 2. Ermittlungsstufe – i. S. paralleler Ermittlungen etwa zum medizinischen Sachverhalt und zu arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit – begonnen werden kann. Wählt die Verwaltung das Stufenverfahren, kann der Versicherte ihr nicht entgegenhalten, sie sei zur Beschleunigung des Verfahrens direkt zur Aufnahme medizinischer Ermittlungen verpflichtet gewesen; denn solange die Einstellung des Versicherten hierzu nicht bekannt ist, muss der Verwaltung insoweit ein Beurteilungsspielraum zugestanden werden. Sollte der Versicherte dann allerdings das seiner Ansicht nach zu langsame Vorgehen der Verwaltung monieren, ist hierin seine Einwilligung in die sofortige Anforderung medizinischer Befunde auch bei Dritten zu sehen. Ein Beschleunigungsgebot kann sich insbesondere aus den Gesichtspunkten der Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen oder bei schnell voranschreitenden Erkrankungen ergeben.