Rz. 1a
Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit sowie erzieherischer Kinder- und Jugendschutz bilden den Schwerpunkt der Jugendhilfe (vgl. auch § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB I; § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII). Grundgedanke ist, präventive Angebote zum Schutz für Kinder und Jugendliche zur Verfügung zu stellen, um deren Gefährdung durch schädliche Einflüsse von vornherein zu vermeiden. Die in den Vorgängerregelungen der §§ 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 bis 3 JWG pauschal enumerativ aufgelisteten Bereiche des Leistungsrechts werden im Zweiten Kapitel des SGB VIII (§§ 11 bis 41) ausdifferenziert. Die §§ 11 bis 14 umschreiben die Aufgabenbereiche und Zielsetzungen des Leistungsrechts: Jugendarbeit, Förderung der Jugendverbände, Jugendsozialarbeit sowie erzieherischer Kinder- und Jugendschutz. Diese Aufgabenbereiche stehen nebeneinander; es gibt keine Rangfolge.
Rz. 1b
Jugendhilfe soll dabei durch die Vermittlung zentraler gesellschaftlicher Wertvorstellungen (wie sie sich z. B. aus dem Grundgesetz ergeben) jungen Menschen eine Orientierungshilfe bieten. Problematisch ist, ob Jugendhilfe diesem hohen Anspruch in einer Zeit, in der die Stellung von Familie, Schule und Kirche als Moral- und Werteinstanzen stark geschwächt ist, überhaupt gerecht werden kann. Es wäre verfehlt, die Jugendhilfe als "sinnstiftende Ersatzinstanz" anzusehen; einen Beitrag mit dem Ziel, junge Menschen gegen gefährdende Einflüsse stark zu machen, kann sie aber sicherlich leisten.
Kinder- und Jugendhilfe hat einen Bildungsauftrag, dem sie in zweierlei Weise nachzukommen versucht: zum einen durch die Überschreitung der Grenzen rechtlich definierter Einzelleistungsbereiche und institutioneller Grenzen im eigenen Systemkontext und zum anderen vermittels der Kooperation und Vernetzung mit anderen Bildungsorten und -anbietern, wobei die Schule den wichtigsten Partner bildet. Effektive Kinder- und Jugendhilfe hat sich der gesellschafts- und bildungspolitischen Tendenz, nämlich der "Entgrenzung von Lernorten und -formen sowie der Neubestimmung des Verhältnisses von Bildung und Erziehung" (vgl. Zwölfter Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), anzupassen. Dadurch werden Kooperation, Koordination und Vernetzung für alle institutionellen Bildungsanbieter und Helfersysteme zunehmend zu unabdingbaren Handlungsbedingungen.
Rz. 1c
Der präventive Charakter der Jugendhilfe gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Brutalität und Kriminalität in Schulen und auf der Straße an Bedeutung. Deutlich zugenommen haben radikalisierte politische Jugendgruppierungen, wie z. B. "Neonazis" oder linksextreme Gruppen, die Gewalttaten gegen Randgruppen (Obdachlose, Behinderte, Ausländer) verüben, genauso wie rivalisierende, gesellschaftlich nicht integrierte gewalttätige Ausländergruppen. Orientierungslosigkeit, mangelnde Berufs- und damit Zukunftsperspektiven, aber auch extremes Werbeverhalten von Unternehmen führen verstärkt zu unerfüllbaren Konsumwünschen, Frustration und Aggressionen. Gefährdungen junger Menschen bestehen darüber hinaus im Suchtbereich durch neue synthetische Drogen bzw. "Alkopops" und durch Gewaltverherrlichung in den Medien. All dem vorbeugend zu begegnen, ist Aufgabe der Jugendhilfe.
Rz. 2
Die Vorschrift konkretisiert in Abs. 1 den Begriff der Jugendarbeit, erläutert die Interessenlage und legt die Ziele fest. Abs. 2 beschreibt Anbieter und Träger der Jugendarbeit. Abs. 3 zählt die Schwerpunkte der Jugendarbeit auf, wobei der Katalog nicht abschließend ist. Abs. 4 bezieht Personen über 27 Jahre in die Maßnahmen der Jugendarbeit ein. Die Regelung wendet sich – anders als sonstige Jugendhilfeleistungen, deren Adressat in der Regel die Personensorgeberechtigten (§ 7 Abs. 1 Nr. 5) sind – direkt an Kinder (§ 7 Abs. 1 Nr. 1), Jugendliche (§ 7 Abs. 1 Nr. 2), junge Volljährige (§ 7 Abs. 1 Nr. 3) und Personen, die das 27. Lebensjahr bereits vollendet haben (Abs. 4). Ergänzend zur familiären Förderung bietet die Jugendarbeit die freiwillige Teilnahme an allgemein zugänglichen Veranstaltungen verschiedener Träger.
Rz. 2a
Bei den öffentlichen Hilfen nach den §§ 11 bis 40 handelt es sich auch um vorrangige Maßnahmen nach § 1666a BGB; die Trennung des Kindes von der elterlichen Familie ist erst dann zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, wie z. B. durch Jugendarbeit als öffentliche Hilfe, begegnet werden kann. Das Gericht kann gegenüber den Eltern anordnen, solche Hilfen in Anspruch zu nehmen, wenn diese sich mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als milderes Mittel darstellen. Es unterliegt dabei dem Entscheidungsprimat des Jugendamts, ob und welche öffentliche Hilfen in einem Gefährdungsfall zur Gefahrenabwendung geeignet sind. Damit sind "öffentliche Hilfen" i. S. d. § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB nur solche, die das am Verfahren mitwirkende Jugendamt konkret anbietet (OLG Koblenz, Beschluss v. 11.6.2012, 11 UF 266/12).