Rz. 56
Können sich Eltern, die die elterliche Sorge gemeinsam ausüben, über Angelegenheiten, die von erheblicher Bedeutung für das Kind sind, nicht einigen, kann das Familiengericht zur Konfliktlösung in Anspruch genommen werden (§ 1628 BGB). Das Familiengericht ist aber nur befugt, einem Elternteil die Entscheidungskompetenz für die streitige Angelegenheit zu übertragen. Es hat darüber hinaus keine eigene Befugnis zur Sachentscheidung, kann also keine Anordnungen treffen (BVerfG, Beschluss v. 4.12.2002, 1 BvR 1870/02).
Rz. 57
Voraussetzung für die Anrufung des Familiengerichts ist ein Konflikt der Eltern, der sich auf eine für das Kind erhebliche Angelegenheit bezieht. Erheblich sind insbesondere Streitigkeiten, die die religiöse Erziehung (vgl. dazu die Sonderregelungen in § 2 RKEG), die Ausschlagung einer Erbschaft (OLG Hamm, Beschluss v. 16.4.2002, 15 W 38/02), eine Impfung (KG, Beschluss v. 18.5.2005, 13 UF 12/05), die Einschulung (BVerfG, Beschluss v. 4.12.2002, 1 BvR 1870/02), die Umschulung, die Ausbildung und den Aufenthalt des Kindes betreffen. Die Aufenthaltsbestimmung wird bedeutsam, wenn ein Elternteil den anderen Elternteil verlassen und zusammen mit den Kindern umziehen will, der andere Elternteil der Mitnahme der Kinder aber widerspricht. Ohne familiengerichtliche Zuweisung der Entscheidungskompetenz in dieser Angelegenheit dürfen die Kinder nicht mitgenommen werden (OLG Dresden, Beschluss v. 15.10.2002, 10 UF 433/02). Nach § 1628 BGB kann deshalb einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind übertragen werden (BT-Drs. 13/4899 S. 95, Hinz, in: Münchener-Kommentar, BGB, § 1628 Rz. 9, 11; a. A. Diederichsen, in: Palandt, BGB, § 1628 Rz. 2; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss v. 7.11.2006, 3 UF 75/06, wonach § 1628 BGB nur bei Konflikten in Einzelangelegenheiten Anwendung finde, sich aber nicht auf eine bestimmte Art von Angelegenheiten elterlicher Sorge beziehe). § 1671 BGB findet (noch) keine Anwendung, da die bloße Trennungsabsicht keine dauerhafte Trennung der Eltern begründet (Diederichsen, in: Palandt, BGB, § 1671 Rz. 10; a. A. Schwab, FamRZ 1998 S. 461). Wird einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, ist es im Regelfall sinnvoll, zugleich die Durchführung von Umgangskontakten zu regeln (BVerfG, Beschluss v. 1.3.2004, 1 BvR 738/01).
Rz. 58
Seine Entscheidung hat das Familiengericht unter Abwägung aller Umstände danach zu treffen, welcher Elternteil die Angelegenheit am besten im Interesse des Kindes wahrnehmen kann (§ 1697a BGB). Die Auswirkungen der unterschiedlichen Elternpositionen auf das soziale Umfeld des Kindes sind zu beachten (BVerfG, Beschluss v. 4.12.2002, 1 BvR 1870/02). Für die praktisch wichtige Frage eines Umzugs ist besonders zu berücksichtigen, welchen Einfluss der Aufenthaltswechsel auf die persönlichen Bindungen des Kindes zu dem anderen Elternteil, Verwandten, Freunden, Sportvereinen, der Schule, der Ausbildung, der Kirchengemeinde usw. hat, welche Vorstellungen das Kind entwickelt und welche Gründe einen Elternteil zu einem umfassenden Ortswechsel bewegen. Physische Gewalt des anderen Elternteils (BVerfG, Beschluss v. 18.12.2003, 1 BvR 1140/03) oder die wirtschaftliche Notwendigkeit, einen Arbeitsplatz antreten zu müssen, sind auch im Kindesinteresse beachtliche Motive. Der Umzug in die Wohnung oder die Nähe eines neuen Partners dürfte dagegen im Regelfall kaum ein Motiv sein, das mit den Interessen eines Kindes konform geht.
Rz. 59
Das Verfahren nach § 1628 BGB können Eltern unabhängig davon einleiten, ob sie zusammen oder getrennt leben. Damit stellt der Gesetzgeber für alle Konstellationen eine Konfliktlösung unterhalb der Eingriffsmöglichkeiten nach § 1666 BGB und § 1671 BGB zur Verfügung. Verfahren, die zu einem vollständigen oder teilweisen Verlust der elterlichen Sorge für zumindest einen Elternteil führen können, werden dadurch vermieden. Die Möglichkeit, unterhalb der Eingriffsschwelle des § 1671 BGB Konflikte zu lösen, hat deshalb Auswirkungen auf die Prüfung, ob einem Elternteil die elterliche Sorge nach § 1671 Abs. 2 BGB allein zu übertragen ist (BGH, Beschluss v. 11.5.2005, XII ZB 33/04).