Rz. 11
Der Begriff "andere Familie" i. S. d. § 33 Satz 1 ist dabei in Abgrenzung zur "Herkunftsfamilie" zu sehen. Beide Begriffe stellen den jeweiligen Gegenbegriff dar; wobei der Begriff "Familie" in diesem Kontext rein funktional zu verstehen ist und der Abgrenzung zu institutionellen Hilfeformen, die nicht zwingend an bestimmte Personen gebunden sind, dient. Mit dem Begriff Familie ist daher in erster Linie ein "privater Haushalt" außerhalb des Elternhauses gemeint, der weder eigene Kinder der Pflegeperson noch die Existenz eines "Pflegeelternpaares" voraussetzt (VG Potsdam, Urteil v. 25.8.2020, 7 K 2354/18 Rz. 32).
Rz. 12
Teilweise spricht das Gesetz statt von Herkunftsfamilie auch von der "eigenen Familie" des Kindes oder Jugendlichen (§§ 36 f.); die Begriffe sind dann im jeweils selben Verständnis aufzufassen. Der Begriff außerhalb des Elternhauses nach § 39 Abs. 1 Satz 1 stellt daher das Synonym zu dem Begriff "andere Familie" i. S. d. § 33 Satz 1 dar. Die Rechtsprechung zur Definition der Herkunftsfamilie kann daher auch im Anwendungsbereich des § 33 herangezogen werden. Der Begriff Herkunftsfamilie ist dabei positiv zu definieren und meint das "Elternhaus" im ausschließlich verstandenen Sinne der "Kernfamilie", bestehend aus Eltern und Kind. Daher ist Herkunftsfamilie aus Sicht der Vorschrift die Familie, aus der das Kind oder der Jugendliche ursprünglich kommt. Der Begriff "andere Familie" ist vom Begriff der Herkunfts- bzw. Kernfamilie negativ abzugrenzen und meint daher jede wie auch immer geartete Familie außerhalb der Herkunfts- also der Kernfamilie.
Rz. 13
Das Merkmal außerhalb des Elternhauses ist daher bereits bei einer Unterbringung bei Verwandten erfüllt. Auch das BVerwG betont, dass Herkunftsfamilie i. S. d. § 33 nur die Familie ist, aus der das Kind oder der Jugendliche ursprünglich herkommt. Auch nach dem BVerwG ist die Herkunftsfamilie daher die aus den Eltern und ggf. Geschwistern bestehende sog. "Kernfamilie" (BVerwG, Urteil v. 1.3.2012, 5 C 12.11). Eine andere Familie ist daher auch die Familie des Vormundes oder die Familie von Verwandten, etwa Großeltern. Das BVerwG führt in der Entscheidung v. 1.3.2012 (5 C 12.11) wörtlich aus, dass "Großeltern nicht zur Herkunftsfamilie (gehören). Erbringen sie die Vollzeitpflege, sind sie als "andere Familie" i. S. d. § 33 Satz 1 SGB VIII anzusehen." Dies ist auch dann zu bejahen, wenn ein Zusammenleben der die Vollzeitpflege erbringenden Großeltern mit den Eltern des Kindes oder Jugendlichen in einem Haushalt gegeben ist (BVerwG, a. a. O.). Nach dieser Rechtsprechung wolle der Gesetzgeber "Verwandtenpflege unter erleichterten Bedingungen" zulassen. Auch sind bei der Auswahl der Pflegepersonen die persönlichen Bindungen des Kindes oder Jugendlichen, die oft an die Großeltern bestehen werden, in besonderer Weise zu berücksichtigen. Ferner können auch Pflegeeltern, denen die elterliche Sorge übertragen wurde und bei welchen das Kind bereits lebt, eine andere Familie sein. Trotz Vormundstellung bleibt diese Familie eine "andere Familie" i. S. d. Vorschrift. Vollzeitpflege kann also bestehen, auch wenn die Pflegeperson zugleich Personensorgeberechtigter oder Vormund ist (BVerwG, Urteil v. 15.12.1995, 5 C 2/94; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 7.11.1994, 16 A 1023/94), was vom Gesetzgeber bewusst unterstützt wird, wie sich aus § 1630 Abs. 3 BGB ergibt – wonach das Familiengericht auf Antrag der Eltern oder der Pflegeperson Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson übertragen kann, wenn die Eltern das Kind für längere Zeit in eine Familienpflege geben – oder aus dem Vorrang der Einzelvormundschaft vor einer Amts- oder Vereinsvormundschaft (§§ 1791b Abs. 1, 1791a Abs. 1 BGB). Vgl. im Übrigen hierzu auch § 56 Abs. 4.
Rz. 14
In der Entscheidung v. 1.9.2011 (5 C 20.10) definiert das BVerwG unter Rückgriff auf die Legaldefinition des § 44 Abs. 1 Satz 1 als Pflegeperson jede Person, welche ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht in seinen Haushalt aufnimmt, denn eine derartige Aufnahme sei "ihrer Art nach typischerweise auf die Begründung familiärer oder familienähnlicher Beziehungen angelegt" (BVerwG, a. a. O.). Es ist daher von einem offenen Familienbegriff auszugehen, was seitens des Jugendamtes im Rahmen der Auswahl der Pflegestelle zu berücksichtigen ist. Hierzu zählt daher nicht nur die klassische Kleinfamilie, sondern auch nichteheliche oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, aber auch Einzelpersonen.