Rz. 9

Die sozialpädagogische Einzelbetreuung richtet sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 35 ausschließlich an Jugendliche und ist ein Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene, die einer sehr individuellen, flexiblen, auf ihre Lebensform abgestimmten Unterstützung bedürfen und die i. d. R. nicht (mehr) von anderen Angeboten der Jugendhilfe erreicht werden bzw. diese Angebote der Jugendhilfe nicht annehmen. Zielgruppe der Hilfe sind demnach insbesondere Jugendliche, die nach dem Verlust ihres bisherigen Bezugsrahmens in ihrer Familie, in einer Einrichtung etc. nur noch durch besondere Einzelbetreuung pädagogisch beeinflussbar sind (zur möglichen Zielgruppe vgl. auch DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.2.2020, SN_2020_0090 Bn, JAmt 2020 S. 446). Zielgruppe sind insoweit insbesondere obdachlose Jugendliche. Die Hilfe kann sowohl aufsuchend (auf der Straße oder in den jeweiligen Unterschlüpfen) oder auch ganz außerhalb des Lebensumfeldes der Jugendlichen (z. B. im Ausland, auf Schiffen usw.) stattfinden, so z. B. in Form eines erlebnispädagogischen Projekts (zu einer solchen Ausgestaltung der Hilfe vgl. Bay. LSG, Urteil v. 22.9.2020, L 3 U 57/18 Rz. 19).

 

Rz. 10

Die Hilfe ist nach der Systematik grundsätzlich nicht gegenüber anderen Hilfeformen nachrangig. Sie soll demnach auch nicht "ultima ratio" sein. Es wurde daher sogar der ursprünglich in der Gesetzesnorm vorgesehene Zusatz gestrichen, wonach die Hilfe erst dann infrage kommt, wenn "andere Arten der Hilfe zur Erziehung nicht geeignet sind" (vgl. BT-Drs. 11/6748). Die Hilfe kann daher durchaus auch neben anderen Hilfen in Betracht kommen (vgl. hierzu auch Komm. zu § 27) und etwa neben der Heimbetreuung bestehen. Oftmals sind die Grenzen zur betreuten Wohnform nach § 34 fließend. Eine individuelle Förderung gefährdeter Jugendlicher in Einrichtungen i. S. d. § 34 stellt jedoch keine Hilfe nach § 35 dar, sondern unterfällt regelmäßig noch der besonderen Ausgestaltung der Hilfe nach § 34, wenn nicht zusätzliche Merkmale hinzutreten. Denkbar ist auch, die Hilfe zur Abfederung akuter Krisensituationen zu installieren. Oftmals wird sich die Hilfe bei akuten Krisen an eine Inobhutnahme (§ 42) anschließen. Letztlich wird jedoch zu beachten sein, dass die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung den besonderen Zweck zugewiesen bekommen hat, Hilfe für die schwer gefährdeten oder bereits geschädigten Jugendlichen anzubieten, welchen, wie es in der Regierungsbegründung heißt, "häufig nur noch durch eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung geholfen werden kann, wenn die Gesellschaft diese jungen Menschen nicht ganz aufgeben will" (BT-Drs. 11/5948 S. 72).

 

Rz. 11

Eine Hilfe zur Erziehung in Form einer intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung nach § 35 kommt in Betracht, wenn der Hilfebedarf nicht durch andere geeignete, aber pädagogisch weniger intensive Hilfeformen – insbesondere andere Hilfen zur Erziehung – befriedigt werden kann. Dabei kommt als Setting auch das Zusammenleben eines Jugendlichen mit der die Leistung erbringenden Fachkraft in deren Wohnung in Betracht. Dies ist demnach ein Setting wie bei einer Unterbringung in einer Pflegefamilie – also eine Hilfe i. S. d. § 33. Abgrenzungskriterium kann insoweit eine Entgeltvereinbarung nach § 78a sein, da eine Leistung nach § 35 durch einen Träger der freien Jugendhilfe anders als eine Leistung nach § 33 eine solche Entgeltvereinbarung voraussetzt (zur Abgrenzung zwischen einer Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege nach § 33 und einer Hilfe zur Erziehung in Form einer intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung nach § 35 sowie den Auswirkungen der Zuordnung einer Leistung zu der einen oder anderen Leistung vgl. auch DIJuF-Rechtsgutachten v. 25.2.2020, SN_2020_0090 Bn, JAmt 2020 S. 446).

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