Rz. 8
Der Anwendungsbereich des § 36 erstreckt sich auf die Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. und auf die Eingliederungshilfe nach § 35a. Ein Hilfeplanungsverfahren muss auch bei der Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 durchgeführt werden. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Verweisung in § 41 Abs. 2 auf § 36. Die Voraussetzungen einer dieser Vorschriften muss vorliegen, um das Hilfeverfahren in Gang setzen zu können.
Rz. 9
Die Hilfegewährung im engeren Sinn muss auch ohne Antrag geprüft werden; der Hilfeplan selbst muss nicht beantragt werden. § 36 enthält kein förmliches Antragserfordernis; eine entsprechende Willensäußerung reicht aus. Der Antrag bzw. die Willensäußerung hat lediglich die Funktion, das Verfahren in Gang zu bringen. Antragsberechtigt ist der anspruchsberechtigte Personenkreis des Hilfeplanverfahrens (vgl. zum Antragserfordernis bei der Eingliederungshilfe nach § 35a; dortige Kommentierung, Rz. 4). Anspruchsberechtigte sind der Personensorgeberechtigte, bei Hilfe zur Erziehung bzw. bei Eingliederungshilfe das Kind oder der Jugendliche und bei Hilfe für junge Volljährige der Volljährige (zur Beteiligung vgl. Wiesner, § 36 SGB VIII, Rz. 14 ff.; vgl. auch bei v. Koppenfels-Spies, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 36 Rz. 42). Allerdings setzt die Wirksamkeit eines Antrags oder einer entsprechenden Willensäußerung voraus, dass der Antragsteller eine entsprechende Verfahrenshandlung vornehmen kann. Für Minderjährige stellt § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 36 SGB I eine Altersgrenze von 15 Jahren auf. Jugendliche können daher ab 15 Jahren nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB I selbst Sozialleistungen beantragen, die sorgeberechtigten Eltern sind jedoch nach § 36 Abs. 1 S. 2 SGB I über die Antragstellung und Leistungserbringung zu unterrichten und das Antragsrecht kann nach § 36 Abs. 2 S. 1 SGB I durch schriftliche Erklärung eingeschränkt werden (vgl.DIJuF-Rechtsgutachten v. 30.9.2020, SN_2020_1083 Bm, JAmt 2020, 651). Personensorgeberechtigte sind gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 die Eltern, aber auch alle anderen, denen durch die Vorschriften des BGB ein Personensorgerecht eingeräumt wird – also auch der Vormund oder der Pfleger (allgemein zur Beteiligung der Personensorgeberechtigten vgl. Wiesner, § 36 SGB VIII, Rz. 14; vgl. zur Anspruchsinhaberschaft auch die Kommentierung zu § 35a, Rz. 3). Die Beteiligung nichtsorgeberechtigter Eltern ist in § 36 (anders in § 37) nicht vorgesehen, aber auch nicht ausgeschlossen, sofern dies sachlich geboten ist (Wiesner, § 36 SGB VIII, Rz. 20; mit Beispielsfällen für eine Beteiligung, vgl. Münder, § 36 SGB VIII, Rz. 29). Im Interesse des Kindes ist eine großzügige Beteiligung nichtsorgeberechtigter Eltern angezeigt.
Rz. 10
Weiterhin setzt die Hilfegrundentscheidung eine Beratung und Hinweise gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 voraus; hier ist der Leistungsadressat in einer passiven Rolle.
Rz. 11
Voraussetzung für die Beteiligung der Leistungsadressaten ist, dass sie die Entscheidung über die Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung eigenverantwortlich treffen und ihre Ausgestaltung mitbestimmen und mittragen können. § 36 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet daher den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu umfassender Beratung und Aufklärung der Leistungsadressaten, bevor diese über die Inanspruchnahme erzieherischer Hilfen bzw. deren Änderung entscheiden (so die ausdrücklichen Erwägungen in den Gesetzesmaterialien zum Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG v. 3.6.2021, BGBl. I S. 1444; vgl. BR-Drs. 5/21 S. 80 = BT-Drs. 19/26107 S. 84; vgl. zur Bedeutung des ICF zur Feststellung für den Unterstützungsbedarf unter Abschnitt Praxishinweise Rz. 72 ff.).
Rz. 12
Begünstige sind der Personensorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche. Der Zeitpunkt der Beratung richtet sich nach der Hilfegrundentscheidung und ist vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe – also vor dem Zeitpunkt, ab dem die Hilfeart feststeht (Winkler, in: BeckOK, SGB VIII, Stand: 1.12.2022, § 36 Rz. 3) – und vor einer notwendigen Änderung zu leisten. Der Umfang der Beratungspflicht umfasst die Beratung über Art und Umfang der Hilfe und die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 22.1.2015, 12 B 1483/14 Rz. 20). Weitere Gegenstände der Beratung sind die weiteren Leistungen nach § 27 Abs. 3, das Hilfeplanverfahren, die Ausübung der Personensorge, die Kostenbeteiligung nach den §§ 91 bis 94 und etwaige ausländerrechtlichen Konsequenzen bei einer Fremdunterbringung (Winkler, in: BeckOK, SGB VIII, Stand: 1.12.2022, § 36 Rz. 4). Die Hinweis- und Beratungspflicht des § 36 Abs. 1 Satz 1 verdrängt insoweit die allgemeine Pflicht zur Anhörung i. S. d. § 24 SGB X. Die Beratungspflicht nach § 14 SGB I besteht unabhängig, die Beratungspflicht nach § 36 geht aber über die reine Rechtsberatung nach § 14 SGB I hinaus und ist damit spezieller (vgl. zum Verhältnis zu anderen Regelungen auch bei v. Koppenfels-Spies, in: Schlegel/Voelzke, juri...