Rz. 50
Die gesetzliche Vermutung bewirkt kein selbständiges (Teil-)Sorgerecht der Pflege- und Erziehungspersonen. Vielmehr bleibt das Sorgerecht der Personensorgeberechtigten unberührt (vgl. dazu BVerwG, Urteil v. 21.6.2001, 5 C 6/00). Die Rechtsstellung der Pflege- und Erziehungspersonen ist stets davon abgeleitet. Inhalt und sachliche Grenzen der Vertretungsbefugnis sind in § 1688 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB aufgeführt. Nach Abs. 1 Satz 1 umfasst die Entscheidungs- und Vertretungsbefugnis die Angelegenheiten des täglichen Lebens. In Abs. 1 Satz 2 sind beispielhaft aufgeführt:
- die Verwaltung des Arbeitsverdienstes des Kindes und
- die Geltendmachung und Verwaltung von Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- und sonstige Sozialleistungen für das Kind.
Rz. 51
Die Aufzählung ist beispielhaft und nicht abschließend. Es werden gerade solche Aufgaben genannt, bei denen aufgrund ihrer Tragweite ansonsten zweifelhaft wäre, ob sie noch zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens zählen.
Rz. 52
Daher zählen hierzu erst recht solche Angelegenheiten, die zwar zur Bewältigung des Alltags unerlässlich, aber von geringerer Bedeutung und Tragweite sind. "Angelegenheiten des täglichen Lebens" sind dabei i. d. R. solche, die häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (vgl. § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB). Es sind also die Alltags- und Routineangelegenheiten, in denen der Gesetzgeber die Vertretung des/der Personensorgeberechtigten durch Pflegeeltern vorsah. Hierunter fallen z. B. Kaufverträge zur Deckung des persönlichen Bedarfs an Kleidung, Arbeitsmittel oder Spielmaterial, Einwilligung zur Mitgliedschaft in Vereinen oder routinemäßige ärztliche Behandlung. Auch die ärztliche Versorgung gehört grundsätzlich zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens, abgesehen jedoch von schwerwiegenden medizinischen Eingriffen. Ferner gehören dazu Rechtsgeschäfte, die mit einem der in der Aufzählung genannten Bereiche in Zusammenhang stehen, wie etwa die Eröffnung eines Girokontos als Lohnkonto oder die Geltendmachung von Begleitansprüchen wie Gewährleistung und Schadensersatz.
Rz. 53
Abzugrenzen sind die Angelegenheiten des täglichen Lebens von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist. Diese nicht einbezogenen Angelegenheiten darf grundsätzlich nur der Personensorgeberechtigte selbst veranlassen. Die Grundentscheidungen sollen daher von den Personensorgeberechtigten getroffen werden (VG Göttingen, Urteil v. 24.2.2005, 2 A 424/03; VG München, Beschluss v. 11.2.2002, M 18 SE 01.5760). Der Personensorgeberechtigte kann aber die Pflege- oder Erziehungsperson dazu ermächtigen. Zu solchen Angelegenheiten i. S. d. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB gehören z. B. Entscheidungen über einen Schulwechsel, die Aufnahme einer Berufsausbildung oder über einen ärztlichen Eingriff. Gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ist bei dauernd getrennt lebenden Eltern in solchen Angelegenheiten ein gegenseitiges Einvernehmen erforderlich. Die Vertretungsbefugnis nach Nr. 3 bezieht sich allein auf Leistungen, die das Kind oder der Jugendliche selbst beanspruchen kann und nicht etwa auf Leistungen, die zwar letztlich dem Kind zugutekommen, bei denen aber der Personensorgeberechtigte Anspruchsinhaber ist. Letzterer ist z. B. anspruchsberechtigt für Leistungen nach § 39; denn es handelt sich um einen Annexanspruch zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, der dem Personensorgeberechtigten zugeordnet ist (VG Göttingen, a. a. O.; Komm zu § 39 Rz. 3, 5).
Rz. 54
Ob einer Pflegeperson eine Prozessführungs- und Klagebefugnis zusteht, in den genannten Bereichen Ansprüche des Kindes geltend zu machen, ist problematisch. Dem steht entgegen, dass das Personensorgerecht durch § 1688 Abs. 1 BGB und § 38 nicht eingeschränkt werden soll. Die Pflegeperson erhält lediglich ein abgeleitetes Recht zur Ausübung der Personensorge. Dieses Recht ist – wie bereits dargestellt – auch sachlich eingeschränkt auf die in § 1688 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB genannten Materien.