Rz. 14

Schon die Herleitung des Regelungsgehalts der Vorschrift ist nicht unumstritten. Historisch gesehen gründet der Programmsatz des § 4 Abs. 2 nach wohl einhelliger Auffassung im Subsidiaritätsprinzip. Dabei wird zumeist die Formulierung des Subsidiaritätsprinzips in der päpstlichen Sozialenzyklika "Quadragesimo anno" zugrunde gelegt. Sie geht ihrerseits auf die katholische Soziallehre zurück. Das Subsidiaritätsprinzip wird dabei als Nachrangprinzip im rein wirtschaftlichen Sinne gesehen. Es ist eng verwoben mit dem Recht des Einzelnen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit: "Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen". Seitens der freien Träger wird der Funktionsschutz der freien Jugendhilfe als gesetzgeberischer Zweck genannt. Beides muss jedoch spätestens seit der grundlegenden Entscheidung des BVerfG (Entscheidung v. 18.7.1967, 2 BvF 3/62 u. a.) in einem stark modifizierten Sinne verstanden werden. Das BVerfG (a. a. O.) betont die in § 5 Abs. 1 JWG, der Vorläufervorschrift des § 4, normierte Gesamtverantwortung des Jugendamtes, d. h. des öffentlichen Trägers. Dieser habe dafür Sorge zu tragen, dass die bestehenden oder noch zu schaffenden Einrichtungen sowie die öffentlichen und privaten Mittel möglichst effizient genutzt werden. Dem folgt das BVerwG mit dem Kernsatz: Die Gesamtverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe für ein aufgabengerechtes Angebot mit den erforderlichen Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen und damit letztlich eine plurale jugendhilfepolitische Infrastruktur stellt eine objektive Rechtsverpflichtung dar (BVerwG, Urteil v. 17.7.2009, 5 C 25/08).

 

Rz. 15

Daraus werden folgende Kernsätze gewonnen:

  • Eine sinnvolle Zusammenarbeit von öffentlicher und freier Jugendhilfe gebietet nicht, vorhandene öffentliche Einrichtungen zu schließen und freie Einrichtungen neu zu schaffen.
  • Dem mit bescheidenen Mitteln möglichen Ausbau vorhandener öffentlicher Einrichtungen ist der Vorrang vor der mit erheblich höheren Mitteln verbundenen Schaffung einer neuen Einrichtung eines freien Trägers zu geben.
  • Wo geeignete Einrichtungen freier Träger bereits vorhanden sind, soll der öffentliche Träger seine Mittel für die Förderung der freien Einrichtungen verwenden, statt sie für die Schaffung eigener Einrichtungen einzusetzen.
 

Rz. 16

Allerdings gebietet das Subsidiaritätsprinzip nicht, notfalls auch Haushaltsansätze für eigene Kräfte zu kürzen, wenn anders die bisherigen Beihilfen für die Träger der freien Jugendhilfe nicht ungeschmälert weitergewährt werden könnten (OVG Lüneburg, Urteil v. 25.3.1998, 4 L 3057/96). Freie Träger können auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Kernsätze keinen Anspruch auf gleich bleibende Förderung herleiten (BVerwG, a. a. O.). Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist u. a. nicht verpflichtet, auf Dauer Überkapazitäten zu finanzieren. Jedoch verbieten die Planungsverantwortung und das Gebot der partnerschaftlichen Zusammenarbeit (Abs. 1 Satz 1) sowie der beschränkte Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe (Abs. 2) und das Wunsch- und Wahlrecht der leistungsberechtigten Eltern (§ 5 Satz 1) es, das Restrisiko bei Veränderungen und Schwankungen in der Kapazitätsauslastung im Wesentlichen den Trägern der freien Jugendhilfe aufzuerlegen. Daher sind rückwirkende Kürzungen der Förderung einer Kindestagesstätte bei Schwankungen der Kinderzahl, bei denen ein Abbau von Kapazitäten (Gruppenschließungen) nicht geboten ist, unzulässig (so VG Braunschweig, Urteil v. 18.1.2007, 3 A 79/06).

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