Rz. 30

Reichen Beratung, nachträgliche Auflagen oder auch die Untersagung der Weiterbeschäftigung einzelner Mitarbeiter (Tätigkeitsuntersagung nach § 48) nicht aus, um die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, so hat die Aufsichtsbehörde die Betriebserlaubnis aufzuheben. Die ab 10.6.2021 geltende Fassung der Vorschrift verwendet den Begriff der Aufhebung als Oberbegriff für Rücknahme und Widerruf. Rechtsgrundlage ist die Spezialregelung in Abs. 7 Satz 1, die den allgemeinen Regelungen in §§ 44ff. SGB X vorgeht (BT-Drs. 11/5948 S. 84). Rücknahme und Widerruf stehen dabei unter der alleinigen Voraussetzung, dass das Kindeswohl (weiterhin) gefährdet ist, eine nicht unerhebliche Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl der Minderjährigen also bereits besteht oder in absehbarer Zeit droht (Bay VGH, Beschluss v. 10.1.2008, 12 CS 07.3433; OVG Hamburg, Beschluss v. 14.12.2012, 4 Bs 248/12: konkrete Gefahr für das Kindeswohl). Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt insbesondere dann vor, wenn aufgrund objektiv feststellbarer Tatsachen eine gegenwärtige oder nahe bevorstehende, nicht unerhebliche Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl (vgl. § 1666 Abs. 1 BGB) der Minderjährigen gegeben ist (OVG Lüneburg, Beschluss v. 18.4.2018, 10 ME 73/18 mit Hinweis auf Mann, in: Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 5. Aufl. 2017, § 45 Rz. 39; Bay VGH, Beschluss v. 17.12.2008, 12 CS 08.1417) und der Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist (OVG Münster, Beschluss v. 22.12.2017, 12 B 1553/17). Das Gesetz fragt hierbei nicht nach den Gründen. Es ist unerheblich, ob der Einrichtungsträger zur Abstellung der Gefährdung – von vornherein oder nachträglich – nicht gewillt oder in der Lage ist. Das bedeutet gleichzeitig, dass der Einrichtungsträger bei Vorliegen einer konkreten Kindeswohlgefährdung keinen Vertrauensschutz hinsichtlich des Fortbestandes der Betriebserlaubnis genießt. Andererseits kann die Erlaubnis nicht zurückgenommen werden, wenn sie zwar zunächst rechtswidrig erteilt worden war, jetzt aber keine Kindeswohlgefährdung mehr gegeben ist (BT-Drs., a. a. O.). Der nachträgliche Wegfall einer der Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis genügt für sich genommen nicht für die Annahme einer Kindeswohlgefährdung. Hinzukommen muss die hieraus resultierende Gefährdung des Wohls der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 26.9.2022, OVG 6 S 48/22).

 

Rz. 31

Eine konkrete Kindswohlgefährdung wurde in folgenden Fällen bejaht:

  • mangelhafte bauliche und hygienische Zustände in der Einrichtung; mangelnde persönliche Eignung des Betreibers der Einrichtung, der diese Mängel über längere Zeit hinweg nicht beseitigt hat (OVG Lüneburg, Beschluss v. 18.4.2018, 10 ME 73/18);
  • Kindesmisshandlung, sexuelle Gewalt und Vernachlässigung (OVG Münster, Beschluss v. 22.12.2017, 12 B 1553/17);
  • Zahlungsunfähig und starke Überschuldung des Einrichtungsträgers, insbesondere wenn er finanzielle Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Betrieb der Einrichtung entstanden sind, in erheblichem Umfang nicht erfüllt hat (OVG Lüneburg, Beschluss v. 18.6.2012, 4 LA 27/11);
  • jahrelanger illegaler Betrieb eines Teils der Einrichtung (OVG Saarland, Beschluss v. 11.8.2010, 3 B 178/10);
  • Erziehung mit "scientologischen Techniken" (Bay VGH, Beschluss v. 17.12.2008, 12 CS 08.1417);
  • Gehäufte quantitative und qualitative personelle Unterbesetzung (Bay VGH, Beschluss v. 10.1.2008, 12 CS 07.3433);
  • Gefährdung des Kindeswohls durch Erschwerung der gesellschaftlichen Integration durch den Umgang des Trägers einer Kindertageseinrichtung mit Personen, Schriften und Institutionen aus dem islamistischen Umfeld (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 27.4.2019, 7 B 10490/19).

Verneint wurde sie in folgenden Beispielsfällen:

  • hohe personelle Fluktuation (OVG Hamburg, Beschluss v. 14.12.2012, 4 Bs 248/12; anders: BVerwG, Beschluss v. 8.7.1986, 5 B 38/85);
  • Fehlen einer pädagogischen Leitungskraft (OVG Hamburg, a. a. O.).

Rücknahme und Widerruf besagen noch nichts über den Verbleib der betreuten Minderjährigen. Werden zwar Elternrechte durch den Entzug einer Betriebserlaubnis nicht verletzt, weil dieser allein die konkrete Kindeswohlgefährdung voraussetzt (OVG Saarland, Beschluss v. 26.10.2010, 3 B 241/10), so empfiehlt es sich, die Sorgeberechtigten (Eltern) aufzufordern, das Kind aus der Einrichtung herauszunehmen. Folgen diese der Empfehlung nicht, so kann die Aufsichtsbehörde die Minderjährigen nur unter den Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 aus der Einrichtung herausnehmen (VG Saarland, Urteil v. 22.2.2006, 10 K 61/05) oder über § 8a Abs. 3 das Familiengericht wegen einer Entscheidung über das Sorgerecht anrufen. Ferner kann der weitere Betrieb der illegalen Einrichtung nach landesgesetzlichen Regelungen (z. B. § 21 Abs. 4 AG KJHG NW) oder gestützt auf das Polizei- und Ordnungsrecht untersagt werden (OVG Saarland, Beschluss v. 11.8.2010, 3 B 178/10; Bay VGH, Beschluss v. 10.1.2...

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