Rz. 8
Sowohl aus dem Gesamtzusammenhang und dem Sinn der Neuregelung der §§ 78a f. wie aus verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben ergeben sich Hinweise zu ihrer Rechtswirkung. Schon nach dem Wortlaut des § 78f i. V. m. § 78b geben die Rahmenverträge nur den Rahmen für die Vereinbarungen auf örtlicher Ebene ab. Wenn die Vertragspartner auf örtlicher Ebene übereinstimmend davon abweichende Regelungen treffen wollen, scheinen sie nach dem Wortlaut des § 78b nicht an Rahmenverträge i. S. d. § 78f gebunden. Gegen eine unmittelbare Verbindlichkeit oder einen Normsetzungscharakter der Rahmenverträge spricht ferner, dass nicht jeder Einrichtungsträger über eine öffentlich-rechtliche Zwangsmitgliedschaft in das System der Vertragsparteien der Rahmenverträge eingebunden ist, was insbesondere für freigewerbliche Anbieter gelten dürfte. Sofern Rahmenverträge auf Landesebene i. S. d. § 78f vorliegen, sind diese anders als im Sozialhilfe- und Pflegeversicherungsrecht (vgl. § 79 SGB XII a. F., § 80 SGB XII n. F., § 75 Abs. 1 Satz 4 SGB XI) nicht allgemein verbindlich und haben daher für den öffentlichen Jugendhilfeträger und die Einrichtungsträger bei den Vereinbarungsverhandlungen nach §§ 78b, 78c nur empfehlenden Charakter (BGH, Urteil v. 18.2.2021, III ZR 175/19 Rz. 25; vgl. auch die Komm. zu § 78c).
Rz. 9
Dennoch sind die Rahmenverträge das einzige Bindeglied zwischen den allgemeinen bundesgesetzlichen Regelungen und den örtlichen Vereinbarungen nicht (zutreffend Gottlieb, ZKJ 2017 S. 266, 268) und damit nicht nur ein ordnungspolitisches Instrumentarium, um das gegenwärtig noch weitgehend unstrukturierte Feld der Leistungserbringung nach §§ 78a ff. zu gestalten, mit der Folge, dass die Verhandlungspartner gänzlich frei wären, zu entscheiden, ob sie den Rahmenvertrag anwenden oder nicht. Den Landesrahmenverträgen kommt vielmehr eine wichtige Steuerungsfunktion für die einrichtungsindividuell abzuschließenden Leistungserbringungsvereinbarungen zu, indem sie landesweite Festlegungen zu Leistungsumfang und fachlichen Standards, zur Entgeltgestaltung sowie zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung treffen (BGH, Urteil v. 18.2.2021, III ZR 175/19 Rz. 25). Zum einen nämlich greift über Art. 3 GG zulasten der öffentlich-rechtlich gebundenen Jugendhilfeträger das Prinzip der Selbstbindung der Verwaltung ein, das es ausschließt, im Verhältnis zu sonstigen Einrichtungsträgern, die keinem der vertragsschließenden Verbände eines Rahmenvertrages nach § 78f angehören, ohne sachlichen Grund andere Maßstäbe anzuwenden. Zum anderen haben die Rahmenverträge auch eine vergaberechtliche Funktion, da sie zwar nicht direkt, aber immerhin mittelbar die Kriterien für den wesentlichen Marktanteil des Marktes jugendhilferechtlicher Leistungen definieren. Der Abruf der Leistungen, d.h. die Entscheidung für einen bestimmten Einrichtungsträger im Rahmen des § 36 unterfällt dann zwar nicht dem Vergaberecht, wohl aber der Rahmenvertrag. Aus Transparenzgründen und zur Aufrechterhaltung eines fairen Wettbewerbs dürfen die freien und gewerblichen Träger – ob verbandsgebunden oder nicht – daher ebenfalls nicht ohne sachlichen Grund von den rahmenvertraglichen Vergleichbarkeitskriterien abweichen. Schließlich wirken die Rahmenverträge rechtlich noch auf einer 3. Ebene normkonkretisierend. Soweit sie nämlich unbestimmte Rechtsbegriffe (Eignung, Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit) näher spezifizieren, haben sie aufgrund des Umstands, dass bei Erstellung der Rahmenverträge aufgrund der Zusammensetzung der Verhandlungspartner nach § 78f fachlich kompetente und nach der Interessenlage ausgewogen vertretene Gremien tätig werden, prima facie die Qualität eines vorweggenommenen Sachverständigengutachtens und können daher als Grundlage für tatrichterliche Feststellungen herangezogen werden (z. B. zur Frage der Marktüblichkeit von Eigenkapitalzinsen oder der erforderlichen Bruttolohnaufwendungen für eine Fachkraft mit bestimmter pädagogischer Qualifikation). Diese Verbindlichkeit entfalten die Rahmenverträge auf allen 3 Ebenen (Gleichbehandlungsgrundsatz, Vergaberecht, vorweggenommenes Sachverständigengutachten) nur dann und soweit, wie eine inzidente Rechtskontrolle ergibt, dass die Vertragspartner die verwandten gesetzlichen Rechtsbegriffe in zutreffender Auslegung zugrunde gelegt haben (so am Beispiel der Anhaltspunkte für die Begutachtung nach dem SGB IX BSG, Urteil v. 11.10.1994, 9 RVs 1/93, und daran anschließend BVerfG, Urteil v. 6.3.1995, 1 BvR 60/95).
Rz. 10
Rahmenverträge werden dann Inhalt der Einzelvereinbarungen, wenn die Parteien die Regelungen des Rahmenvertrags ihrer Rechtsbeziehung zugrunde legen, indem sie auf die Bestimmungen des Rahmenvertrags Bezug nehmen, ihm beitreten oder seine Verbindlichkeit auf sonstige Weise anerkennen (BGH, Urteil v. 18.2.2021, III ZR 175/19 Rz. 25).
Rz. 11
So kann z. B. das Gebot der Sparsamkeit aus den Rahmenverträgen fließen (VG Mainz, Urteil v. 10.8.2017, 1 K 1419/16.MZ Rz. 30).