Rz. 20
Bis zur Anerkennung der Vaterschaft nach § 1594 BGB oder deren gerichtlichen Feststellung (§ 1600 d BGB oder § 182 Abs. 1 FamFG) existiert kein Vater im Rechtssinne; auch im Hinblick auf den in Abs. 1 Satz 1 verwendeten Elternbegriff dann nicht, wenn der Vater und die Mutter des Kindes zum Zeitpunkt seiner Geburt nicht miteinander verheiratet waren. In diesem Fall bestimmt Abs. 1 Satz 2 die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter als dem einzig vorhandenen Anknüpfungsmerkmal, unabhängig davon, ob ihr das Personensorgerecht ganz oder nur in Teilen zusteht oder gänzlich entzogen worden ist. Ab dem Zeitpunkt der Anerkennung oder rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft ist die örtliche Zuständigkeit mit Wirkung ex nunc neu zu bestimmen. Erst ab diesem Zeitpunkt (und nicht bereits auf den Zeitpunkt des Hilfebeginns im Wege der Rückschau im Falle der Gewährung einer Hilfe zur Erziehung abstellend) kann im Hinblick auf Abs. 1 Satz 1 an den gemeinsamen g.A. der Eltern angeknüpft werden, da § 86 Abs. 1 Satz 1 keine relative Rückwirkung der Vaterschaftsfeststellung vorsieht, denn bis zur Anerkennung der Vaterschaft bzw. deren gerichtlichen Feststellung bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit ausschließlich und endgültig nach dem g.A. der Mutter. Erst die wirksam anerkannte bzw. rechtskräftig durch Urteil/Beschluss festgestellte Vaterschaft ist maßgebend dafür, dass seit diesem Tag die Mutter wie auch der Vater Eltern i. S. d. § 86 Abs. 1 Satz 1 sind. Sofern die Elternteile zum Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung oder gerichtlichen Feststellung verschiedene g.A. begründen, bedeutet dies, dass die örtliche Zuständigkeit nach Abs. 5 neu zu bestimmen ist, je nachdem, wer zu diesem Zeitpunkt Inhaber der elterlichen Sorge nach Abs. 5 Satz 1 oder aber nach Abs. 5 Satz 2 (Folgewirkung aus der Entscheidung des BVerwG, Urteil v. 9.12.2010, 5 C 17/09 in Ergänzung des Urteils v. 30.9.009, 5 C 18.08; vgl. hierzu erläuternd auch die Ausführungen zu Rz. 38) ist.
Rz. 21
Hiervon ausdrücklich zu unterscheiden sind hingegen die rechtlichen Auswirkungen einer nachträglichen Vaterschaftsanfechtung. Das BVerwG hat dazu in seinem Urteil v. 25.3.2010, 5 C 12/09, im Ergebnis klargestellt, dass auch für den Bereich des SGB VIII, insbesondere hier für die Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit Folgendes gilt: Im Falle der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung (durch zivilrechtliches Urteil, mit dem das Nichtbestehen der Vaterschaft festgestellt wird) wird das Verhältnis "Scheinvater – Kind" rückwirkend (also ex tunc) ab dem Tag der Geburt des Kindes aufgehoben. Nach einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft ist nicht nur zivilrechtlich (§ 1599 BGB), sondern auch jugendhilferechtlich die Situation so zu sehen, dass die Vaterschaft nie bestanden hat. Das bedeutet, dass in diesem Fall die örtliche Zuständigkeit ab Hilfebeginn neu zu bestimmen ist. Zur unterschiedlichen Auswirkung der Rechtsinstitute Vaterschaftsanfechtung, Vaterschaftsanerkennung sowie Vaterschaftsfeststellung führt das BVerwG im Übrigen in seinen Urteilsgründen an:
"Auch das Familienrecht geht nämlich davon aus, dass die Rechtswirkungen der Anerkennung der Vaterschaft oder deren gerichtliche Feststellung grundsätzlich erst von dem Zeitpunkt an geltend gemacht werden können, zu dem die Anerkennung wirksam bzw. die Feststellung rechtskräftig wird (§ 1594 Abs. 1, § 1600 d Abs. 4 BGB). § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII stellt folglich insoweit nur klar, dass es für die örtliche Zuständigkeit bis zur wirksamen Anerkennung bzw. Feststellung der Vaterschaft bei dieser zivilrechtlichen Rechtslage bleibt und etwa nicht die tatsächlichen Abstammungsverhältnisse für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit im Jugendhilferecht maßgeblich sein sollen. Der in der Vorschrift gerade nicht geregelte Fall der rückwirkenden Beseitigung der Vaterschaft unterscheidet sich in der Sache von deren (nachträglicher) Anerkennung oder Feststellung. Mangels Vergleichbarkeit dieser Fälle kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII auf den Sachverhalt der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung nicht in Betracht, zumal (wegen des nicht ausdrücklich ausgeschlossenen Rückgriffs auf das Zivilrecht) eine Regelungslücke im Fall der Vaterschaftsanfechtung nicht besteht."