0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Regelung des § 88 schließt an die ursprüngliche Fassung des § 86 Abs. 4 an. Sie wurde im Rahmen des 1. SGB VIII-ÄndG v. 16.2.1993 (BGBl. I S. 239) redaktionell überarbeitet und trat am 1.4.1993 als eigenständige Vorschrift in Kraft. § 88 gilt seit dem 1.1.2012 i. d. F. der Bekanntmachung v. 11.9.2012 (BGBl. I S. 2022).

1 Allgemeines

 

Rz. 2

§ 88 Abs. 1 Satz 1 bestimmt die örtliche Zuständigkeit der überörtlichen Jugendhilfeträger für die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe mit Auslandsberührung nach § 6 Abs. 3. Zuständig ist der überörtliche Träger, in dessen Bereich der junge Mensch geboren ist. Zur Begriffsdefinition des "jungen Menschen" vgl. Komm. zu § 7. Satz 2 regelt die Fälle, in denen der Geburtsort entweder im Ausland liegt oder nicht feststellbar sein sollte. Liegen diese Fallvarianten vor, wird damit ausschließlich die örtliche Zuständigkeit des Landes Berlin begründet.

 

Rz. 3

§ 88 Abs. 2 knüpft an eine bereits im Inland eingetretene örtliche Zuständigkeit eines örtlichen Trägers an und lässt sie im Falle des Übertritts in das Ausland bei gleichzeitig vorliegender Notwendigkeit der Weitergewährung einer Leistung der Jugendhilfe fortbestehen. Der örtliche Träger, der im Inland bis zur Ausreise örtlich zuständig war, bleibt damit auch für die Gewährung von Leistungen im Ausland fortgesetzt zuständig.

2 Rechtspraxis

2.1 Örtliche Zuständigkeit für Leistungen an junge Menschen im Ausland (Abs. 1)

2.1.1 Geburtsort im Inland

 

Rz. 4

Abs. 1 Satz 1 knüpft die örtliche Zuständigkeit bei Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe im Ausland an den Geburtsort des jungen Menschen in Deutschland an. Örtlich zuständig ist demnach der überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Bereich der junge Mensch geboren ist. Die Zuständigkeit des überörtlichen Trägers beschränkt sich ausschließlich auf "Leistungen" der Jugendhilfe i. S. d. § 2 Abs. 2. Die "anderen Aufgaben" nach § 2 Abs. 3 sind hiervon nicht erfasst. Dies ist insofern nachvollziehbar, als der überörtliche Träger unter Hinweis auf § 85 Abs. 2 Nr. 9 (nur) für die Gewährung von Leistungen an Deutsche im Ausland sachlich zuständig ist, nicht jedoch für die Erfüllung der anderen Aufgaben. Die Ausweitung der örtlichen Zuständigkeit auch auf andere Aufgaben der Jugendhilfe würde mangels sachlicher Zuständigkeit damit ins Leere laufen.

 

Rz. 5

§ 88 gilt im Verhältnis zu den anderen Zuständigkeitsnormen (§§ 86 bis 87c) subsidiär. Die Vorschrift ist als reine "Ausnahmezuständigkeitsregelung" stringent auszulegen und allein auf die Fälle beschränkt zu verstehen, in denen mangels Anknüpfungspunkt im Inland (hilfsweise) auf den Geburtsort des jungen Menschen abgestellt werden muss. Hierdurch soll im Regelfall stets der Eintritt der örtlichen Zuständigkeit eines örtlichen Trägers erreicht werden und nur im Ausnahmefall die Zuständigkeit eines überörtlichen Trägers eintreten (müssen). Die örtliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers tritt jedenfalls dann nicht ein, so dass die Zuständigkeit eines örtlichen Trägers nach §§ 86 ff. begründet wird, wenn entweder die Eltern, der maßgebliche Elternteil oder alternativ das Kind bzw. der Jugendliche (als [Mit]Empfänger der Leistung) einen g.A. im Inland haben. Das BVerwG führt hierzu u. a. aus: "Die gleichzeitige Ausrichtung der Leistungsgewährung auf den Leistungsberechtigten und den Leistungsempfänger bedingt, dass für die Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs nicht nur der Aufenthalt des Leistungsberechtigten, sondern auch der des Leistungsempfängers maßgeblich ist. Bei einem Auseinanderfallen von Leistungsberechtigtem und Leistungsempfänger setzt eine Leistung der Jugendhilfe im Ausland im Sinne des § 6 Abs. 3 SGB VIII deshalb voraus, dass beide Beteiligte ihren Aufenthalt im Ausland haben. Allein in diesem Fall richtet sich die – daran anschließend zu bestimmende – sachliche Zuständigkeit für die Leistungsgewährung nach § 85 Abs. 2 Nr. 9 SGB VIII und die örtliche Zuständigkeit nach § 88 SGB VIII" (vgl. BVerwG, Urteil v. 12.5.2011, 5 C 4/10; Urteil v. 31.5.2018, 5 C 1/17). Bei Kindern und Jugendlichen reicht im Hinblick auf § 86 Abs. 4 bereits der tatsächliche Aufenthalt als Anknüpfungspunkt im Inland aus. Eine Auslandshilfe (§ 6 Abs. 3) wird in einem laufenden Verfahren auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung nicht dadurch beendet und in eine Inlandshilfe (§ 6 Abs. 1) umgewandelt, dass sich zwar der Leistungsempfänger zum Zwecke der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistung in das Inland begibt und dort aufhält, der Auslandsbezug jedoch fortbesteht, weil der leistungsberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland beibehält. Mit Eintritt der Volljährigkeit ist der Leistungsempfänger zugleich Leistungsberechtigter. Der Auslandsbezug entfällt; die Auslandshilfe wird dann zur Inlandshilfe (BVerwG, Urteil v. 31.5.2018, a. a. O.).

2.1.2 Geburtsort im Ausland oder nicht feststellbar

 

Rz. 6

Für den Fall, dass der Geburtsort des jungen Menschen im Ausland gelegen oder nicht zu ermitteln sein sollte und damit zwangsläufig die Bestimmung eines überörtlichen Trägers i. S. d. Abs. 1 Satz 1 unmöglich wird, bestimmt Abs. 1 Satz 2 das Land Berlin zum örtlich zuständigen Träger.

2.2 Fortgesetzte Leistungspflicht des örtlichen Trägers

 

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