Rz. 12
§ 89d Abs. 5 regelt das Verhältnis zu konkurrierenden Erstattungsansprüchen und legt fest, dass Kostenerstattungsansprüche nach Abs. 1 Satz 1 als lex specialis allen anderen Kostenerstattungsansprüchen nach §§ 89 ff. vorgehen (ebenso Loos, in: Wiesner, SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe, 5. Aufl. 2015, § 89 d Rz. 15; VG Augsburg, Urteil v. 2.2.2010, Au 3 K 09.344). Der Wortlaut des Abs. 5 geht zwar von vorrangigen Kostenerstattungsansprüchen "nach den Abs. 1 bis 3" aus. Die Abs. 2 und 3 enthalten jedoch keine ersichtlichen Ansprüche. Sie zeigen lediglich die erstattungspflichtigen Träger in den darin genannten Fällen auf bzw. auf welcher Grundlage sie durch das Bundesverwaltungsamt bestimmt werden. Insoweit ist der Gesetzeswortlaut zu ungenau formuliert.
Rz. 13
Subsidiär anzuwenden sind ebenfalls die Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes, soweit beispielsweise minderjährige Asylsuchende betreut werden. Unbegleitet eingereiste minderjährige Asylsuchende scheiden nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich des SGB VIII aus (vgl. hierzu auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 27.8.1998, 16 A 3477/97; BVerwG, Urteil v. 24.6.1999, 5 C 24.98). Die Unterbringung eines unbegleitet eingereisten ausländischen Minderjährigen in einem Heim für Kinder und Jugendliche ist auch dann eine Maßnahme der Jugendhilfe, wenn die durch das Land geschaffene Erstaufnahmeeinrichtung im Rahmen eines standardisierten Verfahrens die Kosten trägt und den Minderjährigen dem Heim zugeführt hat (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.4.2002, 12 A 4007/00).
Rz. 14
Eine nach § 42 wegen Gefährdung der Person und dringenden Bedarfs an jugendgerechter Unterbringung und Betreuung angeordnete Inobhutnahme von unbegleitet eingereisten ausländischen Jugendlichen in einer Erstversorgungseinrichtung (und damit zusammenhängend die Verpflichtung zur Erstattung der entstandenen Aufwendungen nach § 89d Abs. 1) endet nicht schon mit der wegen Ruhens der elterlichen Sorge erforderlichen Vormundbestellung durch das Familiengericht (BVerwG, Urteil v. 8.7.2004, 5 C 63.03). Denn die Aufgabe des Jugendamtes, gefährdeten Jugendlichen in einer Krisensituation Unterbringung und Betreuung zu gewährleisten, und der mit der Inobhutnahme verbundene Schutzauftrag seien mit der Bestellung eines Amtsvormunds durch das Familiengericht noch nicht erfüllt. Die bloße Existenz eines Personensorgeberechtigten, der anderweitige Hilfen beantragen könnte, löse nicht das Problem des akuten Unterkunfts- und Betreuungsbedarfs. Das Jugendamt, das sich mit der Inobhutnahme in einer besonderen Pflichtenstellung gegenüber den betroffenen Jugendlichen befinde und dabei zusätzlich die Rolle des Vormunds übernehme, bleibe jugendhilferechtlich verpflichtet, im Zusammenwirken mit dem die Vormundschaft ausübenden Beamten die Art des jugendhilferechtlichen Bedarfs zu klären und eine Entscheidung über die gebotene Hilfe herbeizuführen. Dabei sei die Entscheidung über die individuell erforderlichen Hilfemaßnahmen von dem erstattungsberechtigten Träger in eigener Verantwortung zu treffen und insofern dessen Einschätzung für den erstattungspflichtigen Träger maßgeblich (siehe auch § 89f Abs. 1 Satz 2). Allerdings sind bei einer Verletzung des Gebotes zügiger Krisenklärung die Kosten einer objektiv unnötigen und erkennbar ohne fortbestehenden jugendhilferechtlichen Bedarf fortgesetzten Inobhutnahme nicht i. S. d. § 89f Abs. 1 durch eine gesetzeskonforme Maßnahme entstanden und daher auch nicht zu erstatten (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse v. 8.2.2007, 5 B 100/06 und 29.11.2006, 5 B 107/06). Der Jugendhilfeträger hat in jedem Fall dafür Sorge zu tragen, dass die Verfahren in der gebotenen zügigen Weise mit dem Ziel einer Krisenklärung (entweder – bei andauerndem erzieherischen Bedarf – Überleitung der Inobhutnahme in eine Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. – oder – bei Wegfall eines jugendhilferechtlichen Bedarfs – Beendigung der Inobhutnahme) abgewickelt werden.
Rz. 15
Sind hingegen dem Jugendamt nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die verfahrensrechtliche Befugnis als Pfleger übertragen worden, das ohne Begleitung eingereiste Kind bzw. den Jugendlichen vor Behörden und Gerichten zu vertreten, so folgt hieraus nicht die Befugnis, Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. zu beantragen. Eine auf Grundlage eines Antrags des Pflegers bewilligte Hilfe ist daher auch dann rechtswidrig und steht einem Kostenerstattungsanspruch nach § 89d entgegen, wenn der Personensorgeberechtigte dieser Hilfe nicht ausdrücklich widersprochen hat (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 19.4.2005, 9 S 109/03).