Rz. 3

Soweit für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit der g.A. der Eltern, eines Elternteils, des Kindes oder des Jugendlichen maßgebend ist und die in Frage kommende Person den g.A. im jeweiligen Einzelfall in einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform begründet, so trifft die Pflicht zur Erstattung der Kosten der Jugendhilfemaßnahme den örtlichen Träger, in dessen Bereich diese Person ihren g.A. vor Aufnahme in die Einrichtung oder sonstige Wohnform hatte. Zum Begriff des g.A. siehe auch § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, Erläuterungen zu § 86 Rz. 11 bis 16. Rechtserheblich i. S. d. § 89e sind allerdings ausschließlich diejenigen Einrichtungen, die auch tatsächliche Betreuungsleistungen erbringen. Eine Einrichtung, die mehr oder minder "nur" Beratungsgespräche oder auch psychosoziale Betreuung in Gestalt der Vermittlung lebenspraktischer Hilfen anbietet, erfüllt die in § 89e geforderten Kriterien indes nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Wohnform auf ein in sich schlüssiges Konzept angebotener Maßnahmen stützt, das den Aufenthaltszweck einer Betreuung verfolgt und dessen Umsetzung gewährleistet (vgl. hierzu auch VG Ansbach, Gerichtsbescheid v. 14.8.2000, AN 14 K 99.01157, DAVorm 2000 S. 1025; Bay VGH, Urteil v. 19.7.2006, 12 BV 04.1238). In Ergänzung der übrigen Kostenerstattungsnormen erfasst § 89e Abs. 1 Satz 1 insbesondere die Fälle, in denen sich Eltern bzw. der für die Zuständigkeitsbestimmung maßgebliche Elternteil in Frauenhäusern, Pflegeheimen, einer Einrichtung des Erwachsenenstrafvollzugs (Justizvollzugsanstalt) etc. aufhalten und dort im Einzelfall ihren Lebensmittelpunkt begründen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich die betreffende Person an diesem Ort im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und deshalb anzunehmen ist, dass damit auch der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbunden sein wird. Ein dauerhafter oder längerer Verbleib ist hierfür nicht Voraussetzung (vgl. VG Ansbach, Urteil v. 14.8.2000, AN 14 K 99.01157, DAVorm 2000 S. 1025). Genauso wenig kommt es auf den Willen des Betroffenen an, an diesem Ort (z. B. Justizvollzugsanstalt) seinen Lebensmittelpunkt begründen zu wollen. Auch ein zwangsweises Festhalten an einem Ort kann unter Umständen zur Begründung eines g.A. führen, sofern der Betreffende auf keinen Fall mehr an seinen ehemaligen (gewöhnlichen) Aufenthaltsort zurückkehren will, weil er sozusagen mit seinem vorherigen Leben brechen möchte. Im Gegensatz dazu ist von der Begründung eines g.A. dann nicht auszugehen, wenn diese Person in jedem Fall an ihren bisherigen Aufenthaltsort zurückzukehren beabsichtigt und zudem alles hierfür spräche, wenn z. B. weiterhin – auch während des Aufenthaltes in der Einrichtung – regelmäßige Kontakte zu diesem Ort gepflegt werden (z. B. zur Familie, zu den Kindern, zu Verwandten etc.). Ausschlaggebend sind demnach alle objektiv feststellbaren Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung einer Jugendhilfemaßnahme im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung.

 

Rz. 4

§ 89e Abs. 1 Satz 1 bezieht in den Schutz der Einrichtungsorte ausdrücklich auch die Unterbringung (von Kindern und Jugendlichen) in einer "anderen" Familie mit ein und folgt damit inhaltlich dem Grundgedanken des § 107 SGB XII. Der Begriff der "anderen Familie" wurde auf Vorschlag des Bundesrates in die Regelung einbezogen (Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/2866 S. 35). Voraussetzung dafür, dass Kinder oder Jugendliche selbständig einen g.A. in einer anderen Familie oder einer Einrichtung i. S. d. § 89e Abs. 1 Satz 1 begründen können, ist, dass

  • die Eltern nicht mehr leben oder
  • sich auf Dauer ihrer Elternverantwortung entziehen.
 

Rz. 5

Ein dauerhafter Entzug der Elternverantwortung ist i. d. R. dann anzunehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche beispielsweise im Rahmen einer Vollzeitpflege nach § 33 auf Dauer in einer Familienpflegestelle betreut wird/werden muss (siehe hierzu auch die Ausführungen zu § 86 Abs. 6), weil der eigentlichen Zielvorstellung des SGB VIII, die Herkunftsfamilie mit pädagogischen Mitteln in die Lage zu versetzen, ihre Erziehungsverantwortung wieder eigenständig wahrzunehmen, im Wege einer prognostischen Entscheidung keine Aussicht auf Erfolg eingeräumt werden kann; dies unter Umständen deshalb, weil die Eltern (oder der maßgebliche Elternteil) aus welchen Gründen auch immer nicht bereit oder in der Lage sind, mit dem Jugendhilfeträger zum Wohle ihres Kindes oder Jugendlichen "partnerschaftlich" zusammenzuarbeiten.

 

Rz. 6

Das OVG NRW hat zu der Unterbringung in einer "anderen Familie" im Hinblick auf die Rechtswirkung des § 89e Abs. 1 Satz 1 entschieden, hier speziell zur Begründung des g.A. in einer anderen Familie, dass eine Kostenerstattungspflicht nach § 89e Abs. 1 Satz 1 lediglich dann gegenüber dem Träger des bisherigen Aufenthaltsortes bestehe, wenn die Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen unter Mitwirkung des Trägers der Jugendhilfe erfolgt sei (vgl. OVG NRW, Urteil v. 17.7.2003, 12 A 183/00, NDV-RD 2004 S....

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