Rz. 12
§ 92 Abs. 4 Satz 1 schränkt das Recht zur Kostenerhebung ein ("Ein Kostenbeitrag kann nur erhoben werden, soweit ...") für den Fall, dass Unterhaltsansprüche vorrangig oder gleichrangiger Berechtigter nicht geschmälert werden, und regelt damit das Verhältnis des Kostenrechts zum Unterhaltsrecht. Mit dieser Regelung will das Gesetz sicherstellen, dass eine Kostenerhebung nicht mit unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen kollidiert oder diese gefährdet und auf diese Weise ggf. den Intentionen der Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe zuwiderläuft. Die bisher in § 4 Abs. 2 Satz 2 KostenbeitragsV geregelte Fallgestaltung bedarf als grundsätzliche inhaltliche Einschränkung einer gesetzlichen, bereits die Verordnungsermächtigung begrenzende Regelung. Abs. 4 Satz 2 sieht nur für die Heranziehung der Eltern eine Sonderregelung vor und ermöglicht das Absehen von der Heranziehung. Zwingend hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe von der Heranziehung abzusehen, wenn das Kind, die Jugendliche, die junge Volljährige oder die leistungsberechtigte Person nach § 19
- schwanger ist oder
- ein leibliches Kind bis zur Vollendung seines 6. Lebensjahres betreut.
Mit dieser Regelung, die den Schutz des ungeborenen Lebens bezweckt, sollen die Eltern, unabhängig von ihrem Alter in ihrer besonderen Situation entlastet und der Möglichkeit begegnet werden, dass auf die jungen Eltern von deren kostenbeitragspflichtigen Eltern aus finanziellen Erwägungen Druck ausgeübt wird, z. B. dahingehend, die Schwangerschaft abzubrechen oder das neugeborene Kind abzugeben (so die Begründung in BR-Drs 93/13 S. 13).
Rz. 13
Von einer Heranziehung soll nach Abs. 5 ganz oder teilweise abgesehen werden in den Fällen
- der Gefährdung des Ziels und Zwecks der Hilfe,
- einer besonderen Härte beim Kostenschuldner,
- eines unangemessenen Verwaltungsaufwandes zum Kostenbeitrag.
Die Ziele der Jugendhilfe ergeben sich aus § 1 Abs. 1 und 3, der Zweck der Hilfe aus der jeweiligen Hilfeart. Eine Gefährdung des Ziels und/oder des Zwecks der Hilfe kann z. B. vorliegen, wenn durch die Heranziehung der Eltern zu den Kosten das Verhältnis zwischen diesen und ihrem Kind belastet würde. Eine Gefährdung kann jedoch nicht nur in den Fällen eintreten, in denen zu befürchten ist, dass eine Heranziehung zu den Kosten der Jugendhilfe zum Abbruch der Maßnahme führt, sondern darüber hinaus auch dann, wenn eine durch die Maßnahme eingetretene Stabilisierung des jungen Volljährigen durch die nachträgliche Heranziehung zu den Kosten wieder verloren geht (so OVG Lüneburg, Beschluss v. 22.5.2012, 4 LC 266/09).
Eine besondere Härte liegt vor, wenn im Einzelfall einer atypischen Situation in der Person des Kostenschuldners nur durch ein Absehen von der Heranziehung hinreichend Rechnung getragen werden kann und die Anwendung der Regelungen zur Heranziehung zu einem Kostenbeitrag zu einem den Leitvorstellungen der §§ 91 bis 94 nicht entsprechenden Ergebnis führen würde (so VG Ansbach, Beschluss v. 27.6.2006, AN 14 K 05.04505; Hamburgisches OVG, Urteil v. 3.9.1993, Bf IV 28/92 Rz. 36; OVG Schleswig-Holstein, Urteil v. 23.10.2018, 3 LB 30/15 Rz. 57). In § 4 Abs. 2 Satz 2 KostenbeitragsV ist ein Fall der besonderen Härte normiert: Würden die Unterhaltsansprüche gleichrangiger Unterhaltsberechtigter trotz einer Zuordnung des maßgeblichen Einkommens in eine niedrigere Einkommensgruppe nach § 4 Abs. 1 KostenbeitragsV geschmälert, ist eine besondere Härte gegeben. Sie kann ferner z. B. bei schwerwiegenden gesundheitlichen Störungen oder bei besonderen finanziellen Belastungen (z. B. Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Heranziehungspflichtigen) gegeben sein. Eine besondere Härte ist auch dann anzunehmen, wenn ein Kostenbeitragspflichtiger nur deshalb zu einem höheren Kostenbeitrag herangezogen wird, weil nicht er, sondern seine nicht erwerbstätige Ehefrau das Kindergeld für die gemeinsamen Kinder bezieht (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 6.6.2012, 6 M 102.11). Eine besondere Härte stellt es weiterhin dar, wenn der Einsatz des Einkommens dazu führt, dass die kostenpflichtige Person ganz oder teilweise sozialhilfebedürftig wird (OVG Schleswig-Holstein, Urteil v. 23.10.2018, a. a. O., Rz. 58 m. w. N.). Demgegenüber liegt keine besondere Härte vor, wenn das Kindergeld als Mindestkostenbeitrag festgesetzt wird (so VG München, Urteil v. 25.7.2012, M 18 K 10.6260). Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Härte unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung.
Für die Feststellung eines unangemessenen Verwaltungsaufwandes bedarf es einer überschlägigen Vergleichsbetrachtung des zu erwartenden Kostenbeitrags im Verhältnis zu dem für die Bearbeitung erforderlichen Verwaltungsaufwand (Personal- und Sachkosten).