0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift trat mit Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) mit Wirkung zum 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift überträgt sprachlich verändert, aber inhaltsgleich den bisherigen, 1996 mit dem Gesetz zur Reform der Sozialhilfe (BGBl. I S. 1088) im Vermittlungsverfahren eingefügten § 143 BSHG. Damit wurde für Altfälle die Fortführung des sog. Arbeitgeber- bzw. Pflegeassistentenmodells nach § 3a BSHG in der bis zum 26.6.1996 geltenden Fassung vorgeschrieben. Diese Altfassung sah den uneingeschränkten Vorrang der ambulanten Hilfe vor (ohne die in der Folge normierte Einschränkung auf unverhältnismäßige Mehrkosten gegenüber einer stationären Versorgung). Die so begründete Besitzstandswahrung soll zeitlich unbegrenzt anzuwenden sein bei Personen, die bisher schon offene Hilfen erhielten und die zur Vermeidung vollstationärer Versorgung selbst Betreuungskräfte beschäftigten, auch wenn diese Versorgung bei einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung Kosten verursachen kann, die weit über denen einer Heimunterbringung liegen. Stichzeitpunkt ist der 26.6.1996, der Tag der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat (BT-Drs. 13/5067). Soweit der Angemessenheits- und Wirtschaftlichkeitsgrundsatz gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG als allgemeine sozialhilferechtliche Strukturprinzipien auch vor der Neufassung des § 3a BSHG 1996 galten und bei der Prüfung von Wünschen der Hilfeempfänger zu berücksichtigen waren, schließt allerdings auch die Besitzstandsklausel nicht aus, zu prüfen, ob die gewünschte ambulante Betreuung gegenüber einer stationären Versorgung unangemessen kostenaufwendig ist (VGH BW, NDV-RD 2000 S. 76; Bräutigam, in: Fichtner, BSHG, 2. Aufl. 2003, Rz. 3). Soweit dabei jedoch aus der Neufassung des § 3a BSHG im Jahr 1996 Gesichtspunkte für eine restriktivere Auslegung des Angemessenheitsgrundsatzes entnommen werden, ist wegen § 130 auf die alte (weitere) Fassung der Bestimmung abzustellen (Schoch, in: LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 143 Rz. 8).
2 Rechtspraxis
Rz. 3
Soweit die Sozialhilfeträger auch in Altfällen fortbestehender Pflegeassistenzmodelle Angemessenheitsprüfungen durchführen oder versuchen, die dortigen Hilfeempfänger auf neu geschaffene vollstationäre Einrichtungen zu verweisen, dürfte dies der gesetzlichen Intention des § 130 zuwiderlaufen (so auch Schoch, a. a. O., Rz. 11, 12). Nicht zu beanstanden ist jedoch, wenn der Sozialhilfeträger den Pflegebedürftigen auf andere gleich wirksame, aber wirtschaftlichere ambulante Angebote am Ort verweist, weil § 3a BSHG nur den Vorrang ambulanter Hilfen vorsah und der Bestandsschutz nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck des § 130 ausschließlich zugunsten der Hilfeempfänger, nicht jedoch zugunsten der Leistungserbringer wirkt (vgl. dazu auch VGH Mannheim, Beschluss v. 25.2.2000, 7 S 2920/99).
Rz. 4
Streitig ist, ab welcher Dauer einer Unterbrechung (z. B. durch Krankenhausaufenthalt) die Besitzstandswahrung erlischt. Rabe (in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl. 2009, § 130 Rz. 2) hält dazu in Anlehnung an die Regelungen zur Unterbrechung eines Heimaufenthalts nach (jetzigem) § 106 Abs. 3 Satz 3 bereits eine zusammenhängende Dauer von 2 Monaten für ausreichend. Schneider (in: Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 130 Rz. 9) sieht eine Unterbrechung erst nach 12 Monaten als eingetreten. Nach überwiegender Auffassung soll § 130 auch nach Unterbrechungen wieder zur Anwendung kommen (Schoch, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, § 19 Rz. 5; Becker, in Coseriu/Siefert, juris-PK-SGB XII, § 130 Rz. 19; Schette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 130 Rz. 19 und Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 130 Rz. 3). Erst dann, wenn der Berechtigte von der Rechtsposition erkennbar Abstand nimmt, solle die Besitzstandsregelung enden. In der Praxis verfahren die Sozialhilfeträger zumeist großzügig und sehen von den Folgen einer etwaigen Unterbrechung ab (vgl. Empfehlungen des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, § 130 Rz. 2.3).
3 Rechtsprechung und Literatur
Rz. 5
Zum Verhältnis von § 143 zu § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 25.2.2000, 7 S 2920/99.
Rz. 6
Jürgens, Der Vorrang ambulanter Hilfen nach § 3a BSHG in der durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts veränderten Fassung, NDV 1996 S. 393.
Schulte, Das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts, NVwZ 1997 S. 958.