Rz. 38
Sozialhilfe wird grundsätzlich geleistet, um den Bedarf in einer gegenwärtigen Notsituation zu decken. Dieser in § 18 zum Ausdruck kommende Gedanke – das sog. Gegenwärtigkeitsprinzip (vgl. dazu auch Rz. 46b) – schließt es i. d. R. aus, Sozialhilfeleistungen für die Vergangenheit, insbesondere für abgelaufene Zeiträume zu erbringen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 12.5.2005, 1 BvR 569/05 m. w. N.; BVerwG, Urteil v. 18.1.1979, 5 C 4.78 – für die Hilfe zum Lebensunterhalt, Urteil v. 19.6.1980, 5 C 26.79; BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 16/08 R). Im Hinblick darauf hat der Sozialhilfeträger z. B. für eine nach dem Ablauf der Heizperiode vom Vermieter geforderte Nachzahlung von Heizungskosten nur aufzukommen, wenn im Zeitpunkt der Nachforderung die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe (noch) vorliegen (BVerwG, Urteil v. 4.2.1988, 5 C 89.85), nicht jedoch, wenn keine Bedürftigkeit nach dem SGB XII mehr vorliegt (vgl. hierzu im Zusammenhang mit der Anwendung von § 44: BSG, Urteil v. 29.9.2009, a. a. O.). Der Grundsatz "Keine Hilfe für die Vergangenheit" kennt allerdings zahlreiche Ausnahmen. Das BSG hat insofern klargestellt, dass es nicht vorrangige Aufgabe des § 18 ist, Leistungen für die Vergangenheit auszuschließen, sondern ein rechtzeitiges Eingreifen des Sozialhilfeträgers auch ohne Antrag zu gewährleisten (BSG, Urteil v. 10.11.2011, B 8 SO 18/10 R m. w. N.).
Rz. 39
Hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen für selbst beschaffte Hilfe vor einer Leistungsgewährung durch den Sozialhilfeträger besteht, ist zunächst zu unterscheiden, ob der Bedarf vor oder nach dem in § 18 beschriebenen Zeitpunkt der Kenntnisnahme gedeckt wird.
Rz. 40
Deckt der Hilfebedürftige seinen Bedarf vor der Kenntnis, so besteht grundsätzlich kein Leistungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 13.9.1995, 6 S 1611/93). Ein Anspruch auf Deckung der einem Hilfesuchenden von Dritten zur Zahlung einer Maklerprovision und einer Mietkaution zur Verfügung gestellten Mittel entsteht regelmäßig nicht, wenn die Zahlungsverpflichtung vertraglich begründet worden ist, bevor sie dem Sozialhilfeträger bekannt geworden ist (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 8.9.1994, 24 E 686/94). Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in der Vergangenheit vertreten wurde, dass auch die rückwirkende Erhöhung der Pflegestufe durch die Pflegekasse keinen Anspruch auf Nachbewilligung höheren Pflegegeldes durch den Sozialhilfeträger begründet, solange dieser von dem erhöhten Pflegebedarf keine Kenntnis hat (BVerwG, Urteil v. 12.12.2002, 5 C 62.01; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 5.12.2000, 22 A 5487/99; a. A. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.6.2001, 12 A 3386/98: Aus der sozialpolitischen Zweckbestimmung des Pflegegeldes und seinem Charakter als pauschalierter Geldleistung folge, dass die Leistung auch für die Vergangenheit gewährt werden könne.), ist das BSG dieser Rechtsprechung nicht gefolgt. Vielmehr hat es in Bezug auf das Pflegegeld nach dem SGB XII klargestellt, dass der Sozialhilfeträger über die erforderliche Kenntnis in einem laufenden Leistungsfall, bei dem Leistungen der Hilfe zur Pflege gewährt werden, schon vor einer sich auf die Höhe der (laufenden) Leistung auswirkenden Änderung der Verhältnisse verfügt und die Sozialhilfe insoweit bereits i. S.v. § 18 eingesetzt hat (BSG, Urteil v. 2.2.2012, B 8 SO 5/10 R m. w. N.). Da die Kenntnis der Notwendigkeit der Hilfe für deren Einsetzen erforderlich, aber auch ausreichend ist, kommt es somit grundsätzlich auf die Kenntnis der Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zur Pflege an sich an, nicht aber auf das jeweilige, ggf. sich ändernde Maß der Pflegebedürftigkeit.
Rz. 41
Leistet ein Dritter vor dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme, so kann der Leistungsberechtigte die Freistellung von einer gegenüber dem Dritten aus der Nothilfe bestehenden Verbindlichkeit nicht verlangen (vgl. zum Verhältnis zu § 25: BSG, Beschluss v. 13.2.2014, B 8 SO 58/13 B). Vielmehr greift in diesem Fall der originäre Ersatzanspruch des Dritten aus § 25 ein (BVerwG, Urteil v. 3.12.1992, 5 C 32.89; BVerwG, Urteil v. 23.6.1994, 5 C 26.92; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.12.1993, 24 A 3705/91; vgl. im Übrigen die Komm. zu § 25).
Rz. 42
Eine Ausnahme von dem Grundsatz "Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" gilt allerdings bei solchen Ansprüchen, bei denen eine vorherige Unterrichtung des Sozialhilfeträgers seiner Art nach nicht erforderlich ist. Hierzu zählt der Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten (§ 74; vgl. dazu BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 23/08 R), zumal die betreffenden Kosten schon von Gesetzes wegen auf das erforderliche Maß beschränkt sind und daher eine vorherige Benachrichtigung auch aus Sparsamkeitsgesichtspunkten entbehrlich ist (BVerwG, Urteil v. 5.6.1997, 5 C 13.96; OVG Lüneburg, Urteil v. 8.5.1995, 12 L 6679/93). Zu differenzieren ist bei Ansprüchen auf Bedarfe, die vor einer (positiven) Entscheidung des S...