Rz. 14
Absatz 1 Satz 3 regelt, dass "im Übrigen" Sozialhilfe geleistet werden kann, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist.
Rz. 15
Unstreitig bezieht sich diese Vorschrift auf alle Leistungen, auf die nicht nach Abs. 1 Satz 1 ein bindender Anspruch besteht. Im Hinblick darauf können Ausländer z. B. die Versorgung mit einem Hörgerät bei Schwerhörigkeit nur als Ermessensleistung verlangen. Denn eine solche Versorgung stellt sich als Eingliederungshilfe und damit nicht als Hilfe bei Krankheit dar (OVG Hamburg, Beschluss v. 17.11.1995, Bs IV 210/95, FEVS 46 S. 480).
Rz. 16
Aufgrund der Wendung "im Übrigen" stellt sich die Frage, ob Abs. 1 Satz 3 sich auch auf Abs. 3 Satz 1 bezieht, also auf die Fälle, in denen ein Leistungsanspruch deshalb versagt wird, weil der Ausländer eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen. Die besseren Argumente sprechen nach der h. M. dafür (BVerwG, Urteil v. 10.12.1987, 5 C 32/85, BVerwGE 78 S. 314; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 10.8.1990, 24 A 2295/86, NWVBl. 1991 S. 64; HessVGH, Beschluss v. 23.3.1994, 9 TG 369/94, FEVS 45 S. 238; Fasselt, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4.. Aufl. 2009, § 23 Rz. 25; Adolph, a. a. O., § 23 Rz. 36; a. A. Herbst, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 23 Rz. 16; jeweils m. w. N.). Die h. M. wird insbesondere dem Grundgedanken der Sozialhilfe gerecht, niemandem das Existenzminimum zu versagen.
Rz. 17
Keine Anwendung findet Abs. 1 Satz 3 dagegen in den Fällen, in denen Hilfe nur eingeschränkt gewährt wird, insbesondere in den von Abs. 5 erfassten Fällen (Adolph, a. a. O., § 23 Rz. 36). Denn hier gibt der Gesetzgeber den Leistungsumfang bereits vor.
Rz. 18
Im Einzelfall gerechtfertigt ist die Hilfe immer dann, wenn sie notwendig ist, um Leben und Gesundheit zu erhalten. Darüber hinaus kann sie notwendig sein, wenn eine Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland unzumutbar ist. Schließlich kann sie auch notwendig sein, um eine solche Rückkehr überhaupt erst zu ermöglichen. Ob die Hilfe im Einzelfall aufgrund des Vorliegens besonderer Umstände gerechtfertigt ist (vgl. hierzu auch: Coseriu, a. a. O., § 23 SGB XII Rz. 25), kann gerichtlich in vollem Umfang überprüft werden, ohne dass dem Sozialhilfeträger insoweit ein Beurteilungsspielraum zustünde.
Rz. 19
Dagegen ist die Hilfe im Einzelfall nicht gerechtfertigt, sofern nicht auch die Voraussetzungen der jeweiligen Anspruchsnorm vorliegen oder ein sonstiger Ausschlusstatbestand (z. B. der Gesichtspunkt des Nachrangs, § 2 Abs. 1) eingreift.
Rz. 20
Ist die Hilfe im Einzelfall gerechtfertigt, steht dem Sozialhilfeträger ein Ermessen hinsichtlich des Ob und hinsichtlich des Wie der Leistung zu. Dementsprechend hat der Ausländer insoweit nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, soweit nicht das Ermessen wegen der Besonderheiten des Einzelfalles auf null reduziert ist. Wie jede Ermessensentscheidung hat auch diese sich in erster Linie an den Kriterien des § 39 SGB I und des § 9 zu orientieren. Zu den zu würdigenden Umständen des Einzelfalles gehört z. B. auch die Dauer des Aufenthalts. Generalpräventive Gesichtspunkte in den Mittelpunkt der Ermessenserwägungen zu stellen ist unzulässig. Vielmehr hat stets auch eine Abwägung stattzufinden zwischen der Notlage des Ausländers und dem Grad seiner Integration in Deutschland. Die Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern wird dabei mit fortschreitender Integration zunehmen (Fasselt, in: Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 23 Rz. 25; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 Rz. 37). Zulässig ist dabei andererseits z. B. die Ermessenserwägung, den Anspruch auf Sozialhilfe ganz zu versagen, wenn eine Rückkehr ohne Weiteres möglich ist (BVerwG, Beschluss v. 8.7.1988, 5 B 136/87 u. a., Buchholz 436.0, § 120 Nr. 9).