Rz. 73
Zuletzt hat der Gesetzgeber durch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) v. 16.12.2022 (BGBl. I S. 2328) zum 1.1.2023 Abs. 10 eingeführt. Damit hat er eine hinsichtlich der Deckung einmaliger besonderer Bedarfe bis dahin bestehende Gesetzeslücke für den sogenannten Härtefallmehrbedarf in Sonderfällen geschlossen. Anders als in der bereits zum 1.1.2021 eingefügten Parallelnorm des § 21 Abs. 6 SGB II, die für einmalige und laufende Mehrbedarfe gilt, erfasst Abs. 10 lediglich einmalige Mehrbedarfe. Für einen laufenden Härtefallmehrbedarf kommt die Anwendung von § 27a Abs. 4 Satz 1 in Betracht.
Rz. 74
Nach Abs. 10 wird für Leistungsberechtigte ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein einmaliger, unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, der auf keine andere Weise gedeckt werden kann und ein Darlehen nach § 37 Abs. 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Zwar erfolgt die Deckung des notwendigen Lebensbedarfs i. S. d. Abs. 1 gemäß § 27a Abs. 2 vollständig durch monatliche Pauschalleistungen entsprechend den jeweiligen Regelbedarfsstufen, verfassungsrechtlich ist es allerdings geboten, in jedem Einzelfall eine Bedarfsdeckung in Höhe des menschenwürdigen Existenzminimums zu gewährleisten. Dazu sind spezielle Regelungen erforderlich, die im Einzelfall eine Abweichung von den Regelbedarfsstufen vorsehen. Bis zum 31.12.2022 fehlte über die allgemeinen Regelungen für Mehrbedarfe (§§ 30 bis 34) hinaus eine Auffangregelung für einzelne Sonderfälle bezogen auf Mehrbedarfe für eine kürzere Dauer als voraussichtlich einen Monat. Insoweit kam lediglich die Gewährung ergänzender Darlehen nach § 37 Abs. 1 in Betracht (a. A. und für die Gewährung einer Beihilfe bereits vor dem 1.1.2023 aufgrund der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums z. B. Scheider, in: Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 27a Rz 49.1).
Rz. 75
Die Regelung setzt in Ansehung des ausdifferenzierten Systems der Bedarfsdeckung durch Regel- und Mehrbedarfe eine ganz besondere Ausnahmesituation voraus. Leistungsberechtigte sind grundsätzlich verpflichtet, besonders hohe Bedarfe in einzelnen Bereichen durch Einsparungen in anderen Bereichen bzw. durch Rücklagen eigenverantwortlich auszugleichen. Dabei sind ihnen gewisse Einschränkungen in der Lebensführung zumutbar. Wenn das noch zumutbare Maß überschritten ist, kommt zunächst die Deckung des Mehrbedarfs durch die Gewährung ergänzender Darlehen nach § 37 Abs. 1 in Betracht (vgl. dortige Komm.). Den Trägern der Sozialhilfe obliegt keine generelle Pflicht zur Prüfung. Leistungsberechtigte müssen diesen Bedarf eigenständig geltend machen und substanziieren. Nach dem Wortlaut des Abs. 10 setzt die Gewährung einer Beihilfe voraus, dass ein Darlehen ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Beide Leistungsarten setzen voraus, dass im Einzelfall ein "unabweisbarer" Bedarf besteht, der "auf keine andere Weise gedeckt werden kann". Auch wenn der Gesetzgeber in § 30 keine Legaldefinition aufgenommen hat, wird die Parallelnorm entsprechend anzuwenden sein. Der Mehrbedarf ist danach unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II).