Rz. 54
Anders als bei den übrigen Mehrbedarfszuschlägen enthält Abs. 5 keinen konkreten Prozentsatz des maßgebenden Regelsatzes, über den die konkrete Höhe des Zuschlages zu ermitteln sein könnte. Die Vorschrift spricht demgegenüber von einem in angemessener Höhe anzuerkennenden Mehrbedarf. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der hinsichtlich seiner Ausfüllung im gerichtlichen Verfahren voll überprüfbar ist.
Rz. 55
Grundsätzlich muss der tatsächliche Mehrbedarf in vollem Umfang finanziell abgedeckt werden. Entscheidend ist, was im Hinblick auf die dem Mehrbedarf zugrunde liegende Erkrankung ernährungswissenschaftlich notwendig ist (Behrend, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, Stand: 26.6.2017, § 21 Rz. 61; vgl. auch schon VGH Hessen, Urteil v. 9.11.1972, VII OE 25/72). Es kommt also auf die Umstände des Einzelfalles wie z. B. Alter und Schwere der Beeinträchtigung an. Ein häufiger Streitpunkt ist die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang Nahrungsmittelunverträglichkeiten (namentlich in Form der Lactoseintoleranz) einen Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag begründen können (vgl. hierzu insbesondere BSG, Urteil v. 14.2.2013, B 14 AS 48/12 R Rz 12 ff., sowie die Empfehlungen des Deutschen Vereins 2014 Ziff. III.3.2). Eine Kumulierung von Mehrbedarfen wegen unterschiedlicher Erkrankungen ist grundsätzlich denkbar, wenn diese voneinander unabhängig sind (BSG, Urteil v. 14.5.2008, B 14/7b AS 58/06 R Rz. 41; Empfehlungen des Deutschen Vereins 2008 Ziff. 5.).
Rz. 56
Die Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 1997 enthielten für bestimmte Kostformen bestimmte (Pauschal-)Beträge, die auf dem Preisindex des Jahres 1997 beruhten und dementsprechend der tatsächlichen Preisentwicklung anzupassen waren.
Im Einzelnen:
Vollkost (z. B. bei Magen-Darmerkrankungen, aber auch HIV u. a.) |
ca. 25,00 EUR |
natriumdefinierte Kost (z. B. Bluthochdruck) |
ca. 25,00 EUR |
purinreduzierte Kost (z. B. bei erhöhter Harnsäure) |
ca. 31,00 EUR |
eiweißdefinierte Kost (z. B. bei Leber- und Nierenerkrankungen) |
ca. 31,00 EUR |
lipidsenkende Kost (z. B. bei erhöhten Blutfettwerten) |
ca. 36,00 EUR |
Diabeteskost (z. B. bei Diabetes mellitus Typ I und IIa) |
ca. 51,00 EUR |
Dialysediät (z. B. bei Nierenerkrankungen) |
ca. 61,00 EUR |
glutenfreie Kost (z. B. bei Zöliakie/Sprue) |
ca. 66,00 EUR |
Vollkost (z. B. bei Magen-Darmerkrankungen, aber auch HIV u. a.) |
ca. 66,00 EUR |
Rz. 57
Die Empfehlungen aus dem Jahr 2008 führten unter Ziff. II.2 4.1 Buchst. a bis j 10 Krankheitsbilder auf, die "nur" eine Vollkosternährung erfordern und daher i. d. R. keinen Mehrbedarf auslösen sollen. Dies galt für fast alle der unter Rz. 56 genannten Erkrankungen, insbesondere Diabetes mellitus. Nach Ziff. II.2 4.2/4.3 und 5. der Empfehlungen 2008 soll eine Krankenkostzulage gewährt werden bei verzehrenden (konsumierenden) Erkrankungen (z. B. Krebs in fortgeschrittenem Stadium, HIV, Multiple Sklerose, entzündliche Darmerkrankungen), solchen Erkrankungen, die mit gestörter Nährstoffaufnahme bzw. -verwertung einhergehen sowie bei Niereninsuffizienz, Zöliakie (Sprue). Dabei wurden folgende Regelwerte empfohlen, die auf den Eckregelsatz (heute Regelbedarfsstufe 1) bezogen sind:
- bei konsumierenden Erkrankungen und solchen mit gestörter Nährstoffaufnahme bzw. -verwertung sowie Niereninsuffizienz, die mit einer eiweißdefinierten Kost behandelt wird, 10 %,
- bei Niereninsuffizienz mit Dialysediät, Zöliakie (Sprue), 20 %.
Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung mehrerer Krankenkostzulagen gleichzeitig vor, soll nach den Besonderheiten des Einzelfalles entschieden werden.
Rz. 58
Im Vergleich zu den Empfehlungen aus dem Jahr 2008 hat sich durch die Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 2014 (vgl. Rz. 47) trotz der grundsätzlichen Überarbeitung und Neustrukturierung inhaltlich nichts Wesentliches geändert. Der Anwendungsbereich wurde auf Kinder und Jugendliche erweitert. Neu eingefügt wurden zudem Aussagen zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten (vgl. Rz. 55) sowie zur Mukoviszidose.
Rz. 59
Nach den aktuellen Empfehlungen von 2020/2023 ist bei den folgenden Erkrankungen regelmäßig eine "Vollkost" angezeigt (und kein Mehrbedarf):
- Dyslipoproteinämie (Fettstoffwechselstörung),
- Hyperurikämie (Erhöhung der Harnsäure im Blut),
- Gicht (Erkrankung durch Harnsäureablagerungen),
- Hypertonie (Bluthochdruck),
- kardinale und renale Ödeme (Gewebswasseransammlungen bei Herz- oder Nierenerkrankungen),
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit – Typ II und Typ I, konventionell und intensiviert konventionell behandelt),
- Ulcus duodeni (Geschwür am Zwölffingerdarm),
- Ulcus ventriculi (Magengeschwür),
- Neurodermitis (Überempfindlichkeit von Haut und Schleimhäuten auf genetischer Basis)
- Lebererkrankung,
- Endometriose,
- Laktoseintoleranz,
- Fruktosemalabsorption,
- Histaminunverträglichkeit.
Rz. 60
Ein Mehrbedarf, der in prozentualer Abhängigkeit zum Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 steht, wird vom Deutschen Verein aktuell bei folgenden Erkrankungen vorgeschlagen: