Rz. 2
§ 35 trifft eigenständige Regelungen für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach dem Dritten und (über die Verweisung in § 42a Abs. 1) nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Diese Leistungen wurden nicht als Pauschale mit in die Regelbedarfsbemessung einbezogen, weil die regionalen Unterschiede, was die Kosten angeht, so gravierend sind, dass eine bundeseinheitliche Pauschalierung überwiegend zu einer Über- oder Unterdeckung führen würde (vgl. BT-Drs. 15/1514 S. 59). Allerdings hat der Gesetzgeber abweichend zu den Vorgängerregelungen des BSHG (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 Verordnung zu § 22 BSHG) die Möglichkeit der lokalen Pauschalierung durch die Träger der Sozialhilfe vorgesehen (vgl. Abs. 4 sowie Abs. 5 Sätze 2 und 3). Für die Zeit ab dem 1.4.2011 kann auch eine abstrakte Bestimmung der Höhe der Unterkunftskosten über eine kommunale Satzung nach §§ 22a bis 22c SGB II bedeutsam werden, was jedoch bislang kaum der Fall und auch zukünftig nicht flächendeckend zu erwarten ist (vgl. § 35b und die dortige Komm.). Faktisch hat eine lokale Pauschalierung inzwischen allerdings dadurch stattgefunden, dass wohl im Bereich jeden örtlichen Trägers ein sog. schlüssiges Konzept (dazu weiter unten) erstellt worden sein dürfte.
Rz. 3
In dem zum 1.1.2023 neu gefassten § 35 werden die Grundlagen der Bedarfe für Unterkunft und Heizung geregelt. Hierzu gehören die Grundnorm des Abs. 1 Satz 1, die neue Karenzzeit von einem Jahr (Abs. 1 Satz 2 bis 6), die Regelungen zur Kostensenkung (Abs. 2 und 3), zu pauschalierten Bedarfen für Unterkunft und Heizung (Abs. 4 und 5), zu den Verweisen auf die weiteren Wohnformen in § 42a (Abs. 6), die neu eingefügte Gesamtangemessenheitsgrenze (Abs. 7) sowie die angeordnete entsprechende Anwendung des § 22 Abs. Abs. 11 und 12 SGB II zur Nutzung von Daten aus qualifizierten Mietspiegelerhebungen zur Bestimmung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft (Abs. 8).
Die in § 35 a. F. enthaltenen Regelungen zu Aufwendungen bei einem Wohnungswechsel und zur Direktzahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung an den Vermieter bzw. andere Empfangsberechtigte sind nunmehr in § 35a ausgegliedert. In § 35a wurde zudem erstmals zum 1.1.2023 eine Regelung zu Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur von Wohnungseigentum aufgenommen, das nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 geschützt ist (vgl. dazu die Komm. zu § 35a).
Rz. 4
§ 35 entspricht teilweise der Parallelvorschrift im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 22 SGB II), weicht aber auch von jener Vorschrift ab. Obwohl die Zielrichtung beider Regelungen grundsätzlich identisch ist, kann die Rechtsprechung zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II daher nicht schematisch auf § 35 übertragen werden. Die Rechtsprechung der für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG zur Angemessenheit von Kosten der Unterkunft hat der 8. Senat des BSG, der für den Bereich des SGB XII allein zuständig ist, allerdings ausdrücklich auf den Bereich des SGB XII übertragen (vgl. BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 24/08 R Rz. 14; BSG, Urteil v. 2.9.2021, B 8 SO 13/19 R Rz. 16). Für eine etwaige analoge Anwendung einzelner Bestimmungen des § 22 SGB II, die im SGB XII nicht enthalten sind, bedarf es jedoch stets einer genauen Betrachtung im Einzelfall, ob eine planwidrige Regelungslücke besteht und die Interessenlage vergleichbar ist.
Rz. 5
Trotz teilweiser Inhaltsgleichheit war und ist § 35 deutlich seltener Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen als § 22 SGB II. Dies beruht sicher darauf, dass der Personenkreis, der Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII bezieht, gegenüber dem Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II deutlich kleiner ist. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass die Personen, auf die § 35 Anwendung findet, überdurchschnittlich alt und gesundheitlich eingeschränkt sind, sodass es seltener zu einem Wohnungswechsel und damit in Zusammenhang stehenden Konflikten (Erhöhung der Unterkunftskosten etc.) kommt.
Rz. 6
Neben § 35 kann die Deckung von Unterkunftskosten auch über die Regelungen der Eingliederungshilfe (vgl. §§ 76 Abs. 2 Nr. 1, 77 SGB IX) in Betracht kommen (vgl. dazu im Einzelnen BSG, Urteil v. 4.4.2019, B 8 SO 12/17 R Rz. 29, sowie BSG, Urteil v. 11.9.2020, B 8 SO 22/18 R Rz. 12 und 20), sofern behinderungsbedingt weitere Kosten für Wohnbedarf entstehen, die von Leistungen des Lebensunterhalts nicht, nicht vollständig oder nicht ohne Einschränkungen umfasst werden. Ist dies nicht der Fall, bleiben die Leistungen nach § 35 SGB XII vorrangig (BSG, Urteil v. 11.9.2020, a. a. O.; vgl. auch Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 6/2020 Anm. 5).