Rz. 100
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass die Obliegenheit der Betroffenen, ihre Unterkunftskosten zu senken, erst entsteht, wenn ihnen bereits bekannt bzw. in geeigneter Weise bekannt gemacht worden ist, dass ihre tatsächlichen Unterkunftskosten die Angemessenheitsschwelle überschreiten (BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 24/08 R Rz. 21); ies gilt auch für Heizkosten.
Rz. 101
In der Regel ist den Betroffenen Kenntnis von der Unangemessenheit ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten über eine sog. Kostensenkungsaufforderung zu vermitteln (dazu ausführlich BSG, Urteil v. 19.3.2008, B 11b AS 41/06 R Rz. 20; vgl. BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 19/09 R Rz. 17 zur Entbehrlichkeit der Aufforderung allenfalls bei bösgläubiger Anmietung einer "Luxuswohnung" in Kenntnis des zu erwartenden SGB-II-Bezugs und der Unangemessenheit der Unterkunftskosten). Eine Kostensenkungsaufforderung ist grundsätzlich auch für den nichtleistungsberechtigten Ehepartner bzw. die nichtleistungsberechtigten Mitglieder der Einsatzgemeinschaft erforderlich. Dies ergibt sich u. a. aus § 35 Abs. 3 Satz 1, der nicht allein von Leistungsberechtigten, sondern von den "Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Absatz 2 zu berücksichtigten sind", spricht (vgl. im Einzelnen BSG, Urteil v. 6.10.2022, B 8 SO 7/21 R Rz. 27).
Rz. 102
Die Kostensenkungsaufforderung ist keine notwendige Voraussetzung für die Entscheidung des Trägers, nur die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen. Es handelt sich bei der Kostensenkungsaufforderung nicht um einen Verwaltungsakt (BSG, Urteil v. 7.11.2006, B 7b AS 10/06 R Rz. 29). Allenfalls kann es sich um einen unzulässigen "Form-Verwaltungsakt" handeln, denn für den Erlass eines Verwaltungsakts besteht keine gesetzliche Grundlage. Eine Kostensenkungsaufforderung ist weder in § 35 normiert noch sonst formelle Voraussetzung für die Weigerung, mehr als die angemessenen Kosten zu übernehmen. Einstweiliger Rechtsschutz kann gegen eine Kostensenkungsaufforderung daher nicht mit Erfolg gesucht werden (krit. dazu Berlit, info also 2014, 249 m. w. N.).
Die Kostensenkungsaufforderung hat vielmehr allein Aufklärungs- und Warnfunktion, damit der Hilfebedürftige Klarheit über die aus Sicht des Leistungsträgers angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung sowie einen Hinweis auf die Rechtslage erhält (BSG, a. a. O.). Die Kostensenkungsaufforderung des Trägers der Sozialhilfe stellt lediglich ein "Angebot" an die Betroffenen dar, mit ihm in einen Dialog über die angemessenen Kosten der Unterkunft einzutreten (BSG, Urteil v. 19.2.2009, B 4 AS 30/08 R Rz. 40 m. w. N.).
Rz. 103
Inhaltlich ist es im Hinblick auf die Aufklärungs- und Warnfunktion der Kostensenkungsaufforderung hinreichend, aber auch notwendig, dass der Leistungsträger den aus seiner Sicht als angemessen anzusehenden Mietpreis angibt und mitteilt, dass er beabsichtige, innerhalb einer bestimmten Frist die Leistungen für die Kosten der Unterkunft (und Heizung) auf das als angemessen angesehene Maß zu senken, weil dies der entscheidende Maßstab zur Beurteilung der Angemessenheit ist (BSG, Urteil v. 1.6.2010, B 4 AS 78/09 R Rz. 15 m. w. N.). Einer Differenzierung nach Grundmiete, Betriebs- und Heizkosten bedarf es dabei nicht zwingend (vgl. BSG, Urteil v. 19.3.2008, B 11b AS 43/06 R Rz. 17). Weitergehende Handlungsanweisungen sind – auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten – entbehrlich. Es steht dem Betroffenen im Rahmen eigenverantwortlichen Handelns frei, bei weitergehendem Informationsbedarf ggf. bei dem Leistungsträger nähere Einzelheiten, z. B. dazu, wie sich der Betrag im Einzelnen errechnet, zu erfragen. Die Kostensenkungsaufforderung darf allerdings keine widersprüchlichen Angaben zur Höhe der angemessenen Unterkunftskosten enthalten, weil sie anderenfalls ihre Funktion nicht erfüllen kann (BSG, Urteil v. 22.11.2011, B 4 AS 219/10 R Rz. 21 m. w. N., sowie zu Fällen mit widersprüchlichen Angaben: BSG, Urteile v. 19.2.2009, B 4 AS 30/08 R, und v. 7.5.2009, B 14 AS 14/08 R).
Rz. 104
In Einzelfällen kann es aber angezeigt sein, die vorstehend dargestellten, im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgestellten strengen Grundsätze für das SGB XII einer Korrektur zu unterziehen, d. h. eine weitergehende Aufklärungs-, Hinweis- oder Beratungspflicht des Sozialhilfeträgers von Amts wegen anzunehmen (vgl. BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 24/08 R Rz. 23). Dies kommt z. B. bei für die Behörde erkennbaren geistigen Einschränkungen eines Betroffenen in Betracht, wenn dieser nicht unter Betreuung steht und auch nicht anderweitig vertreten ist (Berlit, in: LPK-SGB XII, 109. Aufl. 2015, § 35 Rz. 78; vgl. auch Scheider, in: Schellhorn/Hohm/ScheiderSchellhorn/Hohm, SGB XII, 189. Aufl. 2015, § 35 Rz. 46). Im Hinblick auf die Identität des Wortlautes von § 35 Abs. 2 Satz 2 einerseits und § 22 Abs. 1 Satz 7 SGB II andererseits sind einem unterschiedlichen Verständnis der beiden Regelungen aber enge Grenzen gesetzt.
Rz. 105
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