0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift trat ursprünglich als Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft. Sie enthielt bis zum 31.12.2010 eine Bestimmung über die Vermutung der Bedarfsdeckung (seit dem 1.1.2011 § 39, vgl. die dortige Komm.).
Rz. 1a
Im Zusammenhang mit der Neustrukturierung des Dritten Kapitels durch Art. 3 Nr. 18 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches v. 24.3.2011 (BGBl. I S. 453) wurde § 34 in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung mit Wirkung zum 1.1.2011 zu § 36. Eine inhaltliche Änderung war damit nicht verbunden (BT-Drs. 17/3404 S. 126 zu Nr. 17). Es erfolgte lediglich eine redaktionelle Anpassung der Überschrift.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift ist fast wortgleich mit dem früheren § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 BSHG. Die Regelung des § 15a Abs. 1 Satz 3 BSHG wurde zu § 29 Abs. 1 Satz 6 in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung (vgl. BT-Drs. 15/1514 S. 60 zu § 35). Eine (§ 15a Abs. 1 Satz 3) entsprechende leicht veränderte und erweiterte Bestimmung findet sich jetzt in § 35 Abs. 1 Satz 2 bis 5 aber nicht in § 36 (vgl. dazu Rz. 16).
Rz. 3
§ 36 trägt dem Umstand Rechnung, dass in bestimmten Fällen die üblichen Leistungen zum Lebensunterhalt nicht ausreichen, um dringende Bedarfslagen zu beseitigen. Inhaltlich ist die Vorschrift bereits in dem Grundsatz der vorbeugenden und nachgehenden Leistungen (§ 15) angelegt. Hierauf wurde vor Einführung des § 15a BSHG von der Praxis auch zurückgegriffen. Die Regelung hat insofern Ausnahmecharakter, als sie dem Grundsatz widerspricht, dass Sozialhilfeleistungen nicht zur Schuldentilgung erbracht werden sollen. Nicht unproblematisch kann im Einzelfall das Konkurrenzverhältnis zwischen § 36 und § 37 sein (vgl. dazu Rz. 21).
Rz. 4
In der Anfangszeit nach Einführung des SGB II und des SGB XII ab dem 1.1.2005 erhielt die Vorschrift Bedeutung im Rahmen der Leistungen von Arbeitslosengeld II; denn dort gab es zunächst keine dem § 36 vergleichbare Regelung, nach der ohne das Vorliegen besonderer zusätzlicher Voraussetzungen rückständige Miet- bzw. Heizkosten oder sonstige Energiekostenrückstände übernommen werden konnten, was zu einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren insbesondere im Eilrechtsschutz führte. Zur Überwindung dieses Mangels wurde die Auffassung vertreten, § 36 – damals noch § 34 – könne auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB II Anwendung finden. Die Anwendung sei nicht durch § 5 Abs. 2 SGB II ausgeschlossen (vgl. zuletzt z. B. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 4.4.2006, L 3 ER 41/06 AS; Sächsisches LSG, Beschluss v. 11.7.2006, L 3 B 193/06 AS-ER). Die Problematik wurde zwischenzeitlich dadurch beseitigt, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende v. 20.7.2006 (BGBl. I S. 1706) § 22 (Abs. 5) SGB II mit Wirkung zum 1.8.2006 geändert hat, der seitdem – inzwischen in § 22 Abs. 8 und 9 SGB II – eine dem § 36 vergleichbare Regelung enthält. Die systematisch nicht unproblematische Rechtsprechung zur Anwendung des § 36 im Leistungsbereich des SGB II ist dadurch obsolet geworden (so auch Berlit, in: LPK-SGB XII, 6. Aufl. 2017, § 22 Rz. 239). Für Personen, die grundsätzlich Leistungen nach dem SGB II erhalten könnten, aber nicht bedürftig sind, bleibt § 36 SGB XII jedoch anwendbar (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 SGB XII – vgl. dazu auch Rz. 6).
2 Rechtspraxis
Rz. 5
Abs. 1enthält Regelungen darüber, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Fällen Schulden übernommen werden können. Abs. 2 regelt für den Unterfall der Gefährdung der Unterkunft durch eine zivilrechtliche Räumungsklage die Informationspflichten des angegangenen Gerichts gegenüber dem Träger der Sozialhilfe.
2.1 Übernahme von Schulden für die Unterkunft (Abs. 1)
2.1.1 Leistungsvoraussetzungen
Rz. 5a
Leistungsvoraussetzung ist neben einer Gefährdungs- oder Notlage (vgl. dazu Rz. 8 ff.), dass die Schuldübernahme zur Behebung der Gefährdungs- oder Notlage gerechtfertigt ist (dazu unten Rz. 10a ff.). Die Rechtfertigung der Schuldübernahme ist also ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 17.1.2014, L 9 SO 532/13 B ER Rz. 17; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 23.3.2011, L 12 SO 49/09 Rz. 49; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 1.8.2006, L 7 SO 2938/06 ER-B m. w. N.).
Rz. 6
Anders als bei den übrigen Leistungen zum Lebensunterhalt ist demgegenüber die Bedürftigkeit des Berechtigten i. S. v. § 19 Abs. 1 keine Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung einer Leistung nach Abs. 1 (so auch Nguyen, in: jurisPK-SGB XII, Stand: 13.7.2017 § 36 Rz. 17 f. m. w. N.;Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 29. Erg.-Lfg. XI/12, § 36 Rz. 9 und 18). Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit der Parallelvorschrift des § 22 Abs. 8 SGB II, die einen anderen Wortlaut hat, sowie aus § 21 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, der die Anwendung von § 36 SGB XII gerade bei fehlender Bedürftigkeit vorsieht. Bei den Sachverhalten, die vom Sinn und Zweck der Vorschrif...