Rz. 8
Das Tatbestandsmerkmal der "besonderen Lebensverhältnisse" bezieht sich auf die soziale Lage des Betroffenen, die durch eine besondere Mangelsituation – etwa an Wohnraum – gekennzeichnet sein muss (BSG, Urteil v. 12.12.2013, B 8 SO 24/12) und wird in § 1 Abs. 2 Satz 1 der VO durch eine abstrakte Beschreibung verschiedener typischer Situationen konkretisiert, in denen aus Sicht des Verordnungsgebers von solchen besonderen Lebensverhältnissen ausgegangen werden kann. Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Vielmehr können auch vergleichbare Umstände einen Anspruch begründen, soweit existenzielle Grundbedürfnisse nicht gesichert oder deren Sicherung erheblich gefährdet ist. Für die Beantwortung der Frage, ob vergleichbare Umstände gegeben sind, ist ein wertender Vergleich mit der in der DVO aufgeführten Fallgruppen vorzunehmen (vgl. im Einzelnen hierzu Rz. 16 ff.). Nach der DVO sind die folgenden Fallgruppen zu unterscheiden:
Rz. 9
Fehlende oder nicht ausreichende Wohnung:
Unter diese Fallgruppe werden Personengruppen subsumiert, die in Obdachlosen- oder sonstigen Behelfsunterkünften oder vergleichbaren Umständen leben. Dazu gehören auch diejenigen, die sich überwiegend im Freien (z. B. vor Bahnhöfen oder in Parks) aufhalten, wenn sie keine feste Bleibe haben. Auf den bauordnungsrechtlichen Bestand, die Förderfähigkeit nach dem Wohngeldgesetz oder auf die melderechtlich erforderliche Anmeldung bei dem zuständigen Einwohnermeldeamt kommt es für die nach Sinn und Zweck des § 67 zu beantwortende Frage, ob ausreichender Wohnraum besessen wird, nicht unmittelbar an. Auch fahrende Unterkünfte (z. B. von Flussschiffern, Zirkusangehörigen o. Ä.) können daher ausreichenden Wohnraum i. S. d. § 1 Abs. 2 DVO darstellen. Die Abgrenzung zur Personengruppe der Menschen in ungesicherter wirtschaftlicher Lebensgrundlage kann im Einzelfall schwierig sein (hierzu BayVGH, ZfS 2001, 279), führt aber zu keinen leistungsrechtlichen Unterschieden.
Rz. 10
Von praktischer Bedeutung (unterschiedliche behördliche Zuständigkeit) ist demgegenüber die Frage, ob die ordnungsrechtliche Verpflichtung der Gemeinden zur Beseitigung von Obdachlosigkeit zu § 67 im Vorrangverhältnis steht. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich die Schwierigkeiten, die sich aus der Obdachlosigkeit ergeben, zu einer über der polizeilichen Gefahrschwelle liegenden Bedrohung für Rechtsgüter von Leib oder Leben der Betroffenen verdichtet haben (z. B. polizeirechtlich zu beseitigende Erfrierungsgefahr im Winter etc.). Keine polizeirechtliche Zuständigkeit für Hilfen an Obdachlose ergeben sich demgegenüber aus Platzverweisen, die auf Grundlage kommunaler Innenstadt-Satzungen für Fußgängerzonen ausgesprochen werden, weil diese keinen Schutz der Betroffenen, sondern allenfalls Dritter (Kunden/Geschäftsleute) bezwecken. Hier bleibt es bei der Zuständigkeit nach § 69. Auch im Übrigen lassen die unterschiedliche Zuständigkeit und die Durchführung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr den Anspruch des Obdachlosen auf Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung gemäß ausdrücklicher Klarstellung in § 4 Abs. 3 DVO unberührt.
Rz. 11
Bei den Maßnahmen zur Erhaltung und zur Beschaffung einer Wohnung kommt für einen Obdachlosen nach pflichtgemäßem Ermessen in Ausnahmefällen auch eine befristete Kostenzusicherung für ein Hotel in Betracht, wenn eine andere Unterbringung in einem Wohnheim nicht möglich ist (HessVGH, ZfSH/SGB 1997, 90; dazu Sunder, NDV 2002, 21). Alternativ kann die Leistung auf Grundlage des § 72 in einer vollstationären Einrichtung erbracht werden (OVG Frankfurt/Oder, FEVS 53, 260). Die bloße Beschaffung eines Schlafsacks genügt nicht (OVG Rheinland-Pfalz, FEVS 41, 252).
Rz. 12
Ein inhaftierter Hilfebedürftiger hat nach der Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 12.5.2011, L 9 SO 105/10) nur dann einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft für seine Mietwohnung, wenn er lediglich eine kurzzeitige Haftstrafe (von unter einem Jahr) verbüßt. In allen anderen Fällen kommt demgegenüber ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Auflösung der Mietwohnung und Einlagerung der persönlichen Sachen in Betracht. Demgegenüber hat das BSG in seinem Urteil v. 12.12.2013 (B 8 SO 24/12 R) entschieden, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Mietwohnung eines inhaftierten Straftäters nicht von vornherein an der Haftdauer scheitere. Für eine solche abstrakte Beurteilung finde sich im Gesetz keine Stütze. Entscheidend sei die Prognose im Hinblick auf die bei der Haftentlassung zu erwartende Situation; dabei könne sich die Notwendigkeit umso konkreter ergeben, desto näher die Haftentlassung bevorstehe. Bei der Prognoseentscheidung sei daher an die verbleibende Restdauer der Haft bis zum möglichen Eintritt der Notlage anzuknüpfen. Ist eine Prognose nicht möglich, weil etwa aufgrund eines laufenden Berufungsverfahrens nicht absehbar ist, wann der Leistungsberechtigte voraussichtlich aus der Haft entlassen wird, scheidet ein Anspruch auf Leistungen nach den §§ 67...