Rz. 37
Abs. 2 Satz 1 regelt, dass die Träger der Sozialhilfe zur Erfüllung ihrer Aufgaben eigene Einrichtungen nur dann neu schaffen sollen, soweit nicht geeignete Einrichtungen anderer Träger vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können.
Rz. 38
Die Vorschrift beinhaltet unverändert die umfassende Gewährleistungsverpflichtung der Sozialhilfeträger. Die Vorschrift knüpft an § 17 SGB I an, der die Sozialleistungsträger verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Berechtigten die ihnen zustehenden Sozialleistungen umfassend und zügig erhalten. Die Vorschrift enthält indessen keine Regelung darüber, wie dies zu bewerkstelligen ist. Diese Frage ist vielmehr – in jeweils unterschiedlicher Form – den speziellen Büchern des SGB vorbehalten.
Rz. 39
Abs. 2 Satz 1 ist neben § 2 Abs. 1 die zweite maßgebliche Subsidiaritätsklausel des Sozialhilferechts. Ebenso wie die Sozialhilfe als Leistung gegenüber anderen Formen der Sozialleistung und Hilfe nachrangig ist, gilt dies auch für die Schaffung von Einrichtungen zur Leistung der Sozialhilfe durch die Sozialhilfeträger. Genauso wenig wie bei der Nachrangigkeit der Leistungen kommt es dabei darauf an, ob die betreffenden Einrichtungen von öffentlichen Trägern geschaffen worden oder dem privaten Sektor zuzurechnen sind.
Rz. 40
Als andere Träger kommen daher nicht nur die in § 5 Abs. 1 genannten Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sowie die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in Betracht, sondern vielmehr auch alle anderen gemeinnützigen und gewerblichen Träger (Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 75 Rz. 12). Für diese Sichtweise spricht nicht zuletzt § 79 Abs. 1 Satz 2, wonach für Einrichtungen der in § 5 Abs. 1 genannten Träger die Rahmenverträge nicht nur mit den Vereinigungen der Träger auf Landesebene, sondern auch mit den Trägern selbst geschlossen werden können. Diese Bestimmung ergäbe keinen Sinn, wenn neben den in § 5 Abs. 1 genannten Trägern nicht auch noch andere als Träger i. S. v. Abs. 1 in Frage kämen.
Rz. 41
Im Rahmen von § 75 besteht dabei kein Vorrang der Träger der freien Wohlfahrtspflege gegenüber solchen anderen Trägern. Vielmehr verhält sich der Gesetzgeber im Rahmen des Vertragsrechts der Leistungserbringer im Wettbewerb zwischen diesen neutral. Zu Recht wird daher angenommen, dass Abs. 1 Satz 1 die Konzeption eines offenen Marktes zugrunde liegt.
Rz. 42
Absatz 2 Satz 1 ist mit Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar. Diese Vorschrift schützt die kommunale Selbstverwaltung nur in ihrem Kernbereich, der durch § 75 nicht angetastet wird. Zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gehört nämlich nicht, dass die Gemeinden oder Kreise auf dem Gebiet der Sozialhilfe ohne gesetzliche Beschränkungen tätig werden dürften. Absatz 2 Satz 1 enthält auch lediglich eine Aufgabenteilung zwischen den Trägern der Sozialhilfe und anderen Trägern, ohne die Gesamtverantwortung der Kommunen als Sozialhilfeträger anzutasten. Insbesondere lässt sich ein unzulässiger Eingriff in die Finanz- und Planungshoheit bei folgendem Verständnis des Abs. 2 Satz 1 vermeiden: Die Vorschrift beinhaltet getreu ihrem Wortlaut zunächst einmal einen Vorrang der bestehenden Einrichtungen anderer Träger nur gegenüber der Schaffung neuer Einrichtungen und Dienste der Sozialhilfeträger. Sind solche Einrichtungen und Dienste hingegen bereits in ausreichender Zahl vorhanden, so brauchen die Sozialhilfeträger den Vorrang anderer Träger nicht dadurch herzustellen, dass sie deren Einrichtungen und Dienste (unnötigerweise) fördern. Diese Überlegung gilt dabei nicht nur bei der Schaffung neuer Einrichtungen und Dienste, sondern sinngemäß auch für den Ausbau oder die Erweiterung bereits bestehender Leistungserbringer. So widerspräche es den in §§ 75 ff. zum Ausdruck kommenden Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, wenn die Sozialhilfeträger auf den kostengünstigen Ausbau eigener Einrichtungen verzichten müssten, um die kostenintensive Schaffung neuer oder den aufwändigen Ausbau bereits bestehender Einrichtungen und Dienste anderer Träger zu fördern (vgl. zum Gesamtzusammenhang BVerfG, Urteil v. 18.7.1967, 2 BvF 3/62 und andere Entscheidungen).
Rz. 43
Es begegnet bei dieser Auslegung auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass die kommunale Daseinsvorsorge hinter gewerblichen Angeboten zurückzustehen hat. Zwar handelt es sich hierbei nicht um eine wirtschaftliche Betätigung, bei der sich die Kommunen ohnehin im Sinne der Subsidiarität gegenüber privaten Unternehmungen zurückzuhalten haben (vgl. z. B. §§ 107 ff. Gemeindeordnung NRW). Indessen ist auch in diesem Bereich ein schützenswertes Interesse solcher privaten Unternehmen anzuerkennen, nicht durch die öffentliche Hand vom Markt verdrängt zu werden. Insofern ermöglicht die geschilderte Abgrenzung einen sinnvollen Ausgleich zwischen diesen wirtschaftlichen Interessen einerseits und den Belangen der kommunalen Selbstverwaltung andererseits.
Rz. 44
Voraussetzung des Nachrangs der Eigeneinric...