Rz. 16
Abs. 1 regelt im Wortlaut lediglich, dass alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit den anschließend genannten Ausnahmen zum Einkommen gehören. Die Vorschrift enthält jedoch keine Definition des Einkommensbegriffs. Nach dem durch die Rechtsprechung entwickelten weiten sozialhilferechtlichen Einkommensbegriff umfasst Einkommen alles, was dem Leistungsberechtigten – ohne Rücksicht auf ihre Art und auf die Tatsache, ob sie laufend oder einmalig anfallen – im Bedarfszeitraum zufließt (st. Rechtsprechung, vgl. u. a. BSG, Urteil v. 8.2.2007, B 9b SO 5/06 R).
2.1.1 Abgrenzung von Einkommen und Vermögen
Rz. 17
Ebenso wenig wie der Begriff des Einkommens, ist auch der Begriff des Vermögens nicht in § 90 definiert. Die Zuordnung als Einkommen oder Vermögen ist jedoch deshalb höchst bedeutsam, weil Geldbeträge auf den Sozialhilfebedarf unterschiedlich angerechnet werden, je nachdem, ob es sich dabei um Einkommen oder um Vermögen handelt.
Früher stellte das BVerwG (zum BSHG: Urteile v. 24.4.1968, V C 62.67, v. 28.3.1974, V C 29.73, sowie v. 4.6.1992, 5 C 82/88) auf den Zweck, dem die Einkünfte dienen sollten (Zweckidentität), sowie auf den Zeitraum ab, innerhalb dessen die Einkünfte den Bedarf decken sollten (Zeitraumidentität). Nach dieser sog. Identitätstheorie waren alle Einkünfte im sozialhilferechtlichen Sinne Einkommen, die dazu bestimmt waren (Zweck), den Lebensunterhalt während eines bestimmten Bedarfszeitraumes (i. d. R. ein Kalendermonat) zu sichern (maßgeblicher Zeitraum). Einkünfte, bei denen eine solche Zweckbestimmung fehlte oder nicht festgestellt werden konnte, gehörten zum Vermögen.
Rz. 18
Diese Abgrenzung ist jedoch in den Fallkonstellationen wenig brauchbar, in denen Gelder innerhalb eines bestimmten Bedarfszeitraumes nachgezahlt werden, die nicht zur Bedarfsdeckung in diesem Zeitraum bestimmt sind, oder wenn Schadensersatz geleistet wird, bei dem die Zuordnung zum aktuellen Bedarfszeitraum ebenfalls nicht möglich ist. Nach der Identitätstheorie würde es sich dabei stets um Vermögen handeln. Dies wäre indes bei der Nachzahlung von Geldbeträgen, die einem zurückliegenden Kalendermonat zuzuordnen sind, nicht interessengerecht und würde Manipulationsmöglichkeiten eröffnen. Deshalb hat das BVerwG die Identitätstheorie zugunsten der modifizierten Zuflusstheorie aufgegeben (vgl. zum BSHG: Urteile v. 18.2.1999, 5 C 35/97 und 5 C 14/98). Danach sind Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, die jemand in einem Bedarfszeitraum wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er in dem Bedarfszeitraum bereits hat. Mittel, die der Hilfesuchende erst in der Bedarfszeit erhält, sind als Zufluss in der Bedarfszeit also regelmäßig Einkommen. Mittel, die der Hilfesuchende früher, wenn auch erst in der vorangegangenen Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der aktuellen Bedarfszeit noch vorhanden sind, Vermögen (Lippert, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 82 Rz. 34; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 82 Rz. 53).
Für das SGB XII hat der Gesetzgeber die Zuflusstheorie nunmehr in § 11 Abs. 2 und 3 SGB II und seit dem 1.1.2024 in Abs. 7 Satz 1 ausdrücklich verankert.
Rz. 19
Bedarfszeitraum ist die Zeitspanne, in der der Bedarf besteht und zu decken ist (zum BSHG: BVerwG, Urteile v. 18.2.1999, 5 C 35/97 und 5 C 16/98). Es gilt das Monatsprinzip, wie bereits aus der Festlegung des Regelsatzes für den monatlichen Bedarf folgt. Als Bedarfszeit ist dabei grundsätzlich auf den jeweiligen Kalendermonat und nicht auf einen im Beginn variablen Zeitraum von 30 Tagen abzustellen (BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 35/07 R; zum BSHG: BVerwG, Urteil v. 22.4.2004, 5 C 68/03; Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 82 Rz. 57).
Rz. 20
Für die Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, soweit nicht normativ ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird (deshalb modifizierte Zuflusstheorie, vgl. BVerwG, Urteil v. 18.2.1999, 5 C 35.97 unter Aufgabe der Identitätstheorie; BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 35/07 R; für das SGB II: BSG, Urteile v. 30.7.2008, B 14 AS 26/07 R, und v. 30.9.2008, B 4 AS 29/07 R und B 4 AS 57/07 R). Unerheblich ist, ob die Mittel überhaupt für den Bedarfszeitraum (z. B. Nachzahlungen) bestimmt sind oder den sozialhilferechtlichen Bedarf decken sollen (BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 35/07 R, zum SGB II: BSG, Urteile v. 30.7.2008, B 14 AS 26/07 R und B 14/11b AS 17/07 R, sowie Urteil v. 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R; zum BSHG: BVerwG, Urteile v. 18.2.1999, 5 C 35/97). Es ist also weder eine Zeitraumidentität noch eine Zweck- oder Bedarfsidentität erforderlich. Ein einkommensrelevanter Zufluss liegt somit i. d. R. auch vor, wenn beim Hilfesuchenden im Bedarfszeitraum Nach- und Rückzahlungen, Rückerstattungen u.ä. Gründen eingehen. Nach § 82 Abs. 1 Satz 3 sind Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, ausnahmsweise kein Einkommen (insbesondere Stromkostenerstattungen). Auch sieht Abs. 7 bei Nachzahlungen eine differenzierte ...