Rz. 3
Nach Nr. 1 kann der Sozialhilfeträger die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangen, das unter der Einkommensgrenze liegt, soweit ein Dritter (§ 2 Abs. 1) Leistungen für einen besonderen Zweck erbracht hat, für den sonst Sozialhilfe zu leisten wäre. Die Vorschrift bringt den Nachrang der Sozialhilfe gegenüber zweckidentischen Leistungen Anderer zum Ausdruck (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 29.3.2012, L 9 SO 340/11; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 88 Rz. 6). Zwischen der Leistung des Dritten und dem Zweck muss Zweckidentität herrschen. Sie liegt vor, wenn beide Leistungen denselben Bedarf decken sollen (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 23.8.2013, B 8 SO 24/11 R). Lässt sich kein besonderer Zweck der Leistung feststellen, ist sie also zweckneutral, liegt kein Fall des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 vor. Wie sich aus dem Wort "soweit" ergibt, kann die Zweckidentität auch nur teilweise bestehen. Anders als bei § 83 Abs. 1 muss die Zweckbestimmung nicht auf einer öffentlich-rechtlichen Norm beruhen; der Rechtsgrund der Leistung ist unerheblich (Lippert, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 88 Rz. 8; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 88 Rz. 7). Es genügt, dass die Zuwendung einen bestimmten Bedarf decken soll und die Zweckbestimmung nach außen erkennbar wird. Der Zweck braucht im Unterschied zu § 83 also nicht ausdrücklich genannt zu werden (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 88 Rz. 10).
Rz. 4
Leistungen für einen besonderen Zweck können z. B. sein:
- Kinder- und Ortszuschläge für Beamte (zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteile v. 28.11.1973, IV A 37/72, und v. 29.5.1974, IV A 4/73),
- Unterhaltsleistungen nach dem BGB, sofern zwischen diesen und der Hilfe des Fünften bis Neunten Kapitels Zweckidentität besteht (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 89 Rz. 11),
- Schadensersatzzahlungen nach §§ 823 ff. BGB (Giere, a. a. O.; Gutzler, in: juris-PK SGB XII, § 89 Rz. 24; Lippert, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 88 Rz. 11),
- die Rückgewähr einer Schenkung gemäß § 528 BGB sowie alle zweckidentischen Leistungen i. S. d. § 83 (Lippert, a. a. O.).
Darüber hinaus erfasst die Vorschrift auch Ansprüche gegen eine private Krankenversicherung, Zuwendungen (= Sach- und Geldleistungen) der freien Wohlfahrtspflege oder von Vereinen an ihre Mitglieder im Krankheitsfall oder anderen dringenden Bedarfslagen. Verneint worden ist eine Zweckidentität zwischen Landesblindengeld und der Eingliederungshilfe (BSG, Urteil v. 11.12.2007, B 8/9b SO 20/06 R; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 27.1.2011, L 8 SO 171/08).
Rz. 5
Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, hat die Behörde zu entscheiden, ob und inwieweit der Betroffene Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze einzusetzen hat. Anders als in den Fällen der Nr. 2 und 3 ist dabei nach der Rechtsprechung des BSG zur Vermeidung von Doppelleistungen die Ermessensbetätigung ("kann") in dem Sinne vorgezeichnet, dass im Regelfall der Einkommenseinsatz verlangt werden muss (sog. intendiertes Ermessen). Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb Sozialhilfe geleistet werden soll, wenn Leistungen Dritter für denselben Zweck erbracht werden (vgl. BSG, Urteil v. 23.8.2013, B 8 SO 24/11 R).