0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde mit Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) eingeführt und trat am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 a. a. O.) in Kraft. Sie übertrug im Wesentlichen inhaltsgleich den bisherigen § 85 BSHG in das SGB XII. Als Folgeänderung zum neuen § 82 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII entfielen die Regelungen des bisherigen § 85 Abs. 2 Satz 2 und 3 BSHG (BT-Drs. 15/1514 S. 66 zu § 83 des Entwurfs).
Das Gesetz zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze v. 2.12.2006 (BGBl. I S. 2670) eliminierte Abs. 1 Nr. 3 mit Wirkung zum 7.12.2006 (vgl. dazu BT-Drs. 16/2711 S. 12) und verortete stattdessen eine entsprechende Regelung in § 92a Abs. 1 SGB XII. Der bisherige Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 rückte mit gewissen inhaltlichen Modifikationen zum neuen Abs. 1 Satz 2 auf.
Mit Art. 3 Nr. 31 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch v. 24.3.2011 (BGBl. I. S. 453) ist die Vorschrift rückwirkend (Art. 14 Abs. 1 a. a. O.) zum 1.1.2011 sprachlich an die Neuregelung und -bezeichnung der Regelbedarfsstufen angepasst worden: In Abs. 2 Satz 1 ersetzte der Gesetzgeber die Wörter "des Eckregelsatzes" durch die Wörter "der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28". Eine grundlegende Änderung der Vorschrift ist damit nicht verbunden.
Durch Art. 11 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) wurden zum 1.1.2017 in Satz 1 der Freibetrag von 25 auf 50 % erhöht. Dies bewirkte, dass das Arbeitsentgelt von Personen, die Leistungen in einer stationären Einrichtung erhalten, in geringerem Umfang als bisher auf Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel angerechnet werden. In Satz 2 wurde der neu eingeführte Abs. 3a aufgenommen. Mit der Änderung wurde für Personen, die Leistungen in einer stationären Einrichtung bedürfen, ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, eine entgeltliche Beschäftigung aufzunehmen; der bisherige faktische Gleichlauf mit der Regelung in § 82 Abs. 3 Satz 2 wurde beibehalten (vgl. BT-Drs. 18/10523 S. 21, 71).
Durch Art. 2 des Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) v. 17.8.2017 (BGBl. I S. 3214) wurde zum 1.1.2018 in Abs. 2 Satz 2 die Angabe "3a" durch die Angabe "6" ersetzt. Die Änderung ist eine Folgeänderung zur Neufassung des § 82, mit der Abs. 3a in Abs. 6 übernommen wurde (BR-Drs. 780/16 S. 6, 45).
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Norm regelt in Abs. 1 erschöpfend die drei Fallkonstellationen, bei denen abweichend von § 85 auch solches Einkommen berücksichtigt werden kann, das unter der Einkommensgrenze liegt. Als Ausnahmevorschrift ist § 88 eng auszulegen und nicht analogiefähig (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 88 Rz. 4; Gutzler, in: juris-PK SGB XII, § 88 Rz. 10). Es handelt sich um eine Ermessensnorm ("kann", vgl. dazu auch BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 32/07 R). Abs. 2 schont das Einkommen, das erwerbstätige Heimbewohner aus einer entgeltlichen Beschäftigung erzielen; er hat damit Anreizfunktion (vgl. BT-Drs. 18/10523 S. 21, 71). Die Vorschrift ist neben § 87 anwendbar.
2 Rechtspraxis
2.1 Leistungen für einen besonderen Zweck (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)
Rz. 3
Nach Nr. 1 kann der Sozialhilfeträger die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangen, das unter der Einkommensgrenze liegt, soweit ein Dritter (§ 2 Abs. 1) Leistungen für einen besonderen Zweck erbracht hat, für den sonst Sozialhilfe zu leisten wäre. Die Vorschrift bringt den Nachrang der Sozialhilfe gegenüber zweckidentischen Leistungen Anderer zum Ausdruck (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 29.3.2012, L 9 SO 340/11; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 88 Rz. 6). Zwischen der Leistung des Dritten und dem Zweck muss Zweckidentität herrschen. Sie liegt vor, wenn beide Leistungen denselben Bedarf decken sollen (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 23.8.2013, B 8 SO 24/11 R). Lässt sich kein besonderer Zweck der Leistung feststellen, ist sie also zweckneutral, liegt kein Fall des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 vor. Wie sich aus dem Wort "soweit" ergibt, kann die Zweckidentität auch nur teilweise bestehen. Anders als bei § 83 Abs. 1 muss die Zweckbestimmung nicht auf einer öffentlich-rechtlichen Norm beruhen; der Rechtsgrund der Leistung ist unerheblich (Lippert, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 88 Rz. 8; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 88 Rz. 7). Es genügt, dass die Zuwendung einen bestimmten Bedarf decken soll und die Zweckbestimmung nach außen erkennbar wird. Der Zweck braucht im Unterschied zu § 83 also nicht ausdrücklich genannt zu werden (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 88 Rz. 10).
Rz. 4
Leistungen für einen besonderen Zweck können z. B. sein:
- Kinder- und Ortszuschläge für Beamte (zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteile v. 28.11.1973, IV A 37/72, und v. 29.5.1974, IV A 4/73),
- Unterhaltsleistungen nach dem BGB, sofern zwischen diesen und der Hilfe des Fünften bis Neunten Kapitels Zweckidentität besteht (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 89 Rz. ...