0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift wurde mit Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) eingeführt, trat am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1, a. a. O.) in Kraft. Sie übertrug inhaltsgleich Abs. 1 und 3 des bisherigen § 87 BSHG in das SGB XII (BT-Drs. 15/1514 S. 66 zu § 84).

Durch Art. 13 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) wurde in Abs. 2 zum 1.1.2020 Satz 3 eingefügt. Mit der Regelung sollte sichergestellt werden, dass Personen, die Leistungen der Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen erhalten und die Einkommen über der Einkommensgrenze erzielen, durch die Verbesserungen beim Einkommenseinsatz bei den Leistungen der Eingliederungshilfe im SGB IX nicht im Gegenzug durch die vollständige Einkommensheranziehung im SGB XII belastet werden (vgl. BR-Drs. 428/16 S. 355).

1 Allgemeines und Rechtspraxis

 

Rz. 2

Die §§ 85 ff. gehen jeweils davon aus, dass nur ein einziger Bedarfsfall vorliegt (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 89 Rz. 1). Mit § 89 berücksichtigt der Gesetzgeber, dass in einer Person bzw. Einsatzgemeinschaft ein mehrfacher Bedarf entstehen kann. Es handelt sich daher um eine Kollisionsregelung (Giere, a. a. O.; Gutzler, in: juris-PK SGB XII, § 89 Rz. 7; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 89 Rz. 1). Für Hilfen zum Lebensunterhalt ist die Vorschrift nicht anwendbar (Giere, a. a. O.; Lippert, in Mergler/Zink, SGB XII, § 89 Rz. 2; Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 89 Rz. 4). Das ergibt sich aus der systematischen Stellung der Norm im Zweiten Abschnitt des Elften Kapitels. Besteht ein Bedarf sowohl an Leistungen der Hilfen zum Lebensunterhalt als auch an Leistungen der Hilfen des Fünften bis Neunten Kapitels (oder der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX), ist das Einkommen zunächst auf die Hilfen des Lebensunterhaltes anzurechnen (Giere, a. a. O.; Lücking, a. a. O.; Schoch, a. a. O.).

 

Rz. 3

Abs. 1 stellt klar, dass derselbe (bereits einmal verbrauchte) Einkommensteil nicht mehrfach berücksichtigt und gleichzeitig zur Deckung mehrerer Bedarfsfälle herangezogen werden darf (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 89 Rz. 2; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 89 Rz. 1). Das Merkmal der Gleichzeitigkeit ist erfüllt, wenn mehrere Bedarfe im selben Monat auftreten und zu decken sind (Schoch, in: LPK-SGB XII, § 89 Rz. 5).

 

Rz. 4

Abs. 2 erfasst die Fälle, in denen für die Bedarfsfälle verschiedene Sozialhilfeträger (z. B. der örtliche und der überörtliche) gleichzeitig zuständig sind. Hier hat der zuerst eingetretene Bedarf den Vorrang (Satz 1; Prioritätsgrundsatz). Treten die Bedarfsfälle gleichzeitig ein, ist das über der Einkommensgrenze liegende Einkommen zu gleichen Teilen bei den Bedarfsfällen zu berücksichtigen (Satz 2). Das gilt nach Überführung der Eingliederungshilfe in Teil 2 des SGB IX zum 1.1.2020 auch, wenn neben den Bedarfen für Leistungen des SGB XII gleichzeitig Bedarfe der Eingliederungshilfe (Leistungen nach Teil 2 des SGB IX) bestehen (Satz 3, vgl. BR-Drs. 428/16 S. 355).

2 Literatur

 

Rz. 5

Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII (LPK), 11. Aufl. 2018.

Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018.

Hauck/Noftz, SGB XII, 24. Erg.-Lfg.

Mergler/Zink, SGB XII, 14. Erg.-Lfg.

Schlegel/Voetzke (Gesamthrsg.), Coseriu/Siefert (Bandhrsg.), jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020.

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge