Rz. 3

Nach wie vor kommt auch im SGB XII – wie schon im BSHG – diesem Grundsatz eine hohe Bedeutung zu. Der einzelne Mensch, sein ganz persönlicher Bedarf und die Situation seiner örtlichen Umgebung sind entscheidend für die Art und Weise, wie ihm als Leistungsberechtigten Hilfe im Bedarfsfall zu gewähren ist (Roscher, a. a. O., § 9 Rz. 2 ff.; Fichtner, a. a. O., § 9 Rz. 2 ff.; Dauber, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe Teil II, Sozialgesetzbuch SGB XII, Bd. 1, 2005, § 9 Rz. 6 ff.). Damit unterscheidet sich die Leistungsgewährung nach dem SGB XII maßgeblich von anderen Sozialleistungssystemen. Anders als beispielsweise im Bereich der Sozialversicherung kommt es nicht auf frühere Beitragsleistungen (z. B. zur Rentenversicherung) an.

Würden diese Gesichtspunkte im Rahmen der Sozialhilfegewährung ignoriert, wäre ein Konflikt mit dem im Grundgesetz verankerten und in § 1 wiederholten Gedanken der Menschenwürde vorprogrammiert.

 

Rz. 4

Der Gesetzgeber hat bei der Einfügung des BSHG in das SGB eine entscheidende Veränderung gegenüber dem bisherigen Recht vorgenommen:

Bei der Prüfung der Besonderheit des Einzelfalles wird nunmehr ausdrücklich auf die "eigenen Kräfte und Mittel" der hilfesuchenden Person oder des Haushalts abgestellt.

Diese Einfügung soll "eine Lücke füllen", wie es in der Gesetzesbegründung heißt. Dabei wird durch die Erwähnung der eigenen Kräfte und Mittel eine unmittelbare Verbindung zu § 2 und dem dort geregelten Nachranggrundsatz hergestellt, der den Einsatz der eigenen Arbeitskraft, des Einkommens und Vermögens voraussetzt. Zudem lässt sich eine Brücke schlagen zu den Aktivierungsvorstellungen, die der Gesetzgeber mit der Reform verbunden hat und die ihren Niederschlag in § 11 in besonderer Weise gefunden haben (vgl. Komm. dort; so auch Wahrendorf, a. a. O., § 9 Rz. 30).

Bei den "eigenen Kräften und Mitteln" geht es nicht nur um die wirtschaftlichen Verhältnisse einer hilfesuchenden Person; es sind auch die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten zu beachten (Roscher, a. a. O., § 9 Rz. 11). Stellt der Sozialhilfeträger nach längerer Sozialhilfegewährung die Leistungen aufgrund veränderter Umstände ein, darf dies nicht zur Unzeit geschehen, d. h. der Leistungsempfänger muss ausreichend Zeit zur Umstellung haben (BVerwG, FEVS 46 S. 360).

 

Rz. 5

In § 9 Abs. 1 wird die Verbindung zum Haushalt, in dem der Leistungsberechtigte lebt, gezogen. Auch dessen Kräfte und Mittel werden in eine Bedarfsprüfung bzw. Bedarfsberechnung und die Fragestellung, wie ein möglicherweise bestehender Bedarf zu decken ist, einbezogen. Dies ergibt sich insbesondere aus § 19 und ist letztlich im Recht der Sozialhilfe nichts Neues, da die Bedarfs-/Einsatzgemeinschaft seit jeher über die Einzelperson hinausgreift (Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII Kommentar, 18. Aufl., § 9 Rz. 12). Daher wird der Verweis auf den Haushalt als überflüssig angesehen (Wahrendorf, a. a. O., § 9 Rz. 31). Verbunden mit der Regelung in § 19 (Leistungsberechtigte) und dem in § 39 festgelegten Grundsatz der Bedarfsdeckung in einer Haushaltsgemeinschaft (Legaldefintion in Satz 1 dieser Vorschrift) wird jedenfalls ein Gesamtbild erkennbar.

Da nach der "Lebenswirklichkeit" Haushalte regelmäßig gemeinsam wirtschaften, wird bei einer Bedürftigkeit auf die gesamte Haushaltssituation abgestellt.

 

Rz. 6

Die Art des vorliegenden Bedarfs ist ein weiterer Aspekt, der im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe zu beachten ist. Art, Form und Maß der Leistungen sind bedarfsbezogen (Wahrendorf, a. a. O., § 9 Rz. 26). Infrage kommen alle in § 8 genannten Hilfen. Dabei sind auch die Belange der Allgemeinheit und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Formen der möglichen Leistungserbringung ergeben sich aus § 10.

 

Rz. 7

Zu den für die Sozialhilfeleistung maßgeblichen Besonderheiten des Einzelfalles gehören insbesondere auch die örtlichen Verhältnisse. Diese spielen z. B. bei der Frage nach der angemessenen Miethöhe oder dem Wert eines evtl. einzusetzenden Hausgrundstücks eine Rolle (Wahrendorf, a. a. O., § 9 Rz. 29).

Wenn es um die konkrete Ausgestaltung einer Hilfe geht oder die Frage, ob ambulant oder stationär eine Hilfe angezeigt ist, sind ebenfalls die örtlichen Verhältnisse von Bedeutung. Da sich die Sozialhilfe auf den Ort des Bedarfs bezieht, kann ein Sozialhilfeträger nicht auf Maßnahmen verweisen, die es vor Ort nicht gibt (z. B. Verweis auf einen Behindertenfahrdienst, wenn ein solches Angebot vor Ort gar nicht existiert) oder die in der konkreten Situation nicht umsetzbar sind (Aufforderung zur Untervermietung, um die Mietkosten zu senken, wenn die hilfesuchende Person in einem Einraum-Appartement wohnt). Auch kann regelmäßig von Eltern behinderter Kinder keine Verlegung des Wohnsitzes in die Nähe eines kostengünstigeren Therapeuten verlangt werden (BVerwGE 91 S. 114).

 

Rz. 8

Aus dem Bedarfsdeckungsgrundsatz kann abgeleitet werden (vgl. Roscher, a. a. O., § 9 Rz. 8),

  • dass die Gründe für die individuelle No...

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