Rz. 16
Grundsätzlicher Anknüpfungspunkt ist der tatsächliche Aufenthalt (Abs. 1 Satz 1). Damit ist für den Leistungssuchenden ein besonderer Schutz normiert, die Anknüpfung an den tatsächlichen Aufenthalt stellt die denkbar einfachste und effektivste Zuweisung dar (Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 22). Die damit erreichte Ortsnähe ermöglicht eine zügige Sachverhaltsaufklärung, insbesondere auch zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (BVerwG, Urteil v. 23.6.1994, 5 C 26/92).
Rz. 17
Tatsächlicher Aufenthalt bedeutet die körperliche Anwesenheit des Leistungssuchenden im Bereich eines Sozialhilfeträgers – entweder eines örtlichen oder eines überörtlichen (Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 23; Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 8; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 6). Da sowohl die örtlichen als auch die überörtlichen Träger der Sozialhilfe das Bundesgebiet lückenlos abdecken gibt es im Bereich der Bundesrepublik keinen denkbaren tatsächlichen Aufenthaltsort, der sich nicht im Bereich sowohl eines örtlichen, als auch eines überörtlichen Sozialhilfeträgers befindet. Damit ist die Zuständigkeitsregelung absolut lückenlos.
Rz. 18
Die Vorschrift verweist auf "die Leistungsberechtigten". Das ist in doppelter Hinsicht unzutreffend: Zum einen ist noch gar nicht bekannt, ob die betreffende Person leistungsberechtigt ist, sie ist in dem Moment der Begründung der örtlichen Zuständigkeit leistungssuchend. Zum anderen müssen es nicht mehrere Leistungsberechtigte sein – wie die Vorschrift dem Wortlaut nach vorschreibt, sondern es reicht bereits aus, wenn ein einziger Leistungssuchender sich im Bereich des Sozialhilfeträgers aufhält. Die Sprachverwirrung ist offenbar dem Bemühen um "Gendergerechtigkeit" und der Vermeidung (tatsächlicher oder vermeintlicher) Diskriminierung geschuldet.
Rz. 19
Die Vorschrift setzt voraus, dass jede Person zum gleichen Zeitpunkt immer nur einen einzigen tatsächlichen Aufenthalt haben kann. Andernfalls gäbe es in bestimmten Fällen mehrere zuständige Sozialhilfeträger, was ja gerade durch Abs. 1 Satz 1 ausgeschlossen werden soll. Es spielt keine Rolle, ob es sich bei dem tatsächlichen Aufenthalt um einen nur vorübergehenden oder um einen ständigen Aufenthalt handelt. Deshalb reicht auch eine nur kurze Aufenthaltsdauer zur Begründung der Zuständigkeit aus (Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 3).
Rz. 19a
Letztlich ist das tatsächliche körperliche Dasein entscheidend – das kann gemäß den unveränderlichen Naturgesetzen zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur ein bestimmter Ortspunkt sein. Für die Frage, auf welchen Zeitpunkt es bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ankommt, ist auf den das Sozialhilferecht bestimmenden Grundsatz abzustellen, dass die Sozialhilfe dazu dient, eine gegenwärtige Notlage zu beheben. Ab wann eine gegenwärtige Notlage angenommen werden kann, richtet sich dabei nach der jeweiligen Eigenart des geltend gemachten Bedarfs (BVerwG, Urteil v. 24.1.1994, 5 C 47/91). Als maßgeblicher Zeitpunkt des Eintritts des Bedarfs ist nicht der anzusehen, in dem für den Leistungssuchenden Leistungen zu erbringen oder Kosten aufzuwenden sind, sondern der, in dem im wohlverstandenen (objektiven) Interesse des Leistungssuchenden über die Hilfe zu entscheiden ist (Rabe, in: Fichtner/Wenzel SGB XII, § 98 Rz. 4, 7). Daraus folgt auch, dass ein gegenwärtiger Bedarf gegeben sein und der Sozialhilfeträger des tatsächlichen Aufenthaltes davon Kenntnis haben muss (Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 25 ff.; vgl. auch Rz. 24).
Rz. 20
Wird vor Antritt einer Urlaubsreise Sozialhilfe beantragt, so bleibt die örtliche Zuständigkeit nach Abs. 1 Satz 1 auch während der auswärtigen Reise bestehen (Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 27; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 9; BVerwG, Urteil v. 22.12.1998, 5 C 21/97). Bewegt sich ein Leistungssuchender regelmäßig zwischen zwei Orten, so hängt die örtliche Zuständigkeit davon ab, welcher Ort den familiären oder individuellen Lebensmittelpunkt bildet und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungssuchenden maßgeblich bestimmt (Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 11; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 23.11.1995, 6 S 941/93; BVerwG, Urteil v. 23.6.1994, 5 C 26/92).
Rz. 21
Ein nur kurzer Aufenthalt an einem anderen Ort beendet weder die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort des Lebensmittelpunktes noch begründet er einen neuen Aufenthaltsort (BVerwG, Urteil v. 5.3.1998, 5 C 12/97; BVerwG, Urteil v. 22.12.1998, 5 C 21/97). Andernfalls würde ein ständiger Wechsel der Zuständigkeit eintreten, was ersichtlich nach Sinn und Zweck des Abs. 1 Satz 1 verhindert werden soll (BSG, Urteil v. 25.4.2018, B 8 SO 20/16 R). Dies gilt sogar dann, wenn jemand laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhält und sich zwischenzeitlich gelegentlich oder häufiger besuchsweise länger an einem anderen Ort aufhält (Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 24, 27). Anders ist es wiederum dann,...