Rz. 2
Schon aus der systematischen Stellung der Norm im Zweiten Abschnitt des SGB I wird deren Charakter als Einweisungsvorschrift und nähere ergänzende Konkretisierung des übergeordneten verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips deutlich. Der Zweite Titel des Zweiten Abschnitts des SGB I umschreibt lediglich einzelne Sozialleistungen und zuständige Leistungsträger und ordnet damit die Leistungen bei Schwangerschaftsabbruch nach § 21b ausdrücklich den Sozialleistungen zu. Ein konkreter Anspruch lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Vielmehr verweist die Norm hierzu auf den 5. Abschnitt des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG), das mit Wirkung zum 15.12.2010 das nahezu inhaltsgleiche Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen (SFHG) ersetzt hat. Dies entspricht der Zielsetzung der Norm als Informationsgrundlage ohne normativen Charakter. Der praktische Anwendungsbereich der Norm ist eher begrenzt.
Die Leistungen bei Schwangerschaftsabbruch und bei Sterilisation wurden zunächst durch das Strafrechtsreform-ÄndG v. 28.8.1975 in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen. Vorläufer der heutigen Vorschrift in § 24b SGB V war § 200f RVO, der beim Schwangerschaftsabbruch der Indikationsregelung folgte. Im Zuge der Wiedervereinigung mussten die unterschiedlichen Strafbestimmungen, die im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch bestanden (Indikations-/Fristenregelung), vereinheitlicht werden. Dies erfolgte grundlegend durch das Schwangeren- und Familienhilfegesetz v. 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398). Dieses Gesetz war im Wesentlichen mit dem GG vereinbar (BVerfG, Urteil v. 28.5.1993, 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/90, 2 BvF 5/92). Jedoch ließ § 24b keine Auslegung zu, die eine Leistungspflicht in gleicher Weise wie bei nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüchen begründete, wenn sich die verfassungsrechtliche Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs nicht feststellen ließ.
Mit dem SFHÄndG kam der Gesetzgeber ausdrücklich den verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG nach (BT-Drs. 13/1850 S. 3). Die Leistungen der Krankenversicherung nach §§ 24a und 24b SGB V sind allerdings keine Krankenbehandlung i. S. d. §§ 27 ff. SGB V, da eine normal verlaufende Schwangerschaft keine Krankheit i. S. d. gesetzlichen Krankenversicherung ist.
Rz. 3
Es dürfte letztlich unerheblich sein, ob die Regelung systematisch dem materiellen Sozialversicherungsrecht (§ 4 SGB I) zuzuordnen ist oder eher einen Bezug zur Sozialhilfe (§ 9 SGB I) aufweist (vgl. hierzu ausführlich Palsherm, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 21b Rz. 6 f.; Stand: 15.3.2018). Der eher vermittelnden Auffassung des BSG (Urteil v. 20.11.2001, B 1 KR 31/00, juris Rz. 19) mit einer gewissen Nähe zum materiellen Sozialversicherungsrecht dürfte der Vorzug zu geben sein. Nach Auffassung des BSG sollte verhindert werden, dass Frauen durch die Kosten eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs nach der Beratungslösung (§ 218 Abs. 1, § 219 StGB i. V. m. §§ 5 bis 7 SchKG) in eine finanzielle Notlage gerieten und dadurch der Gesundheitsschutz der Schwangeren in Frage gestellt wurde. Vorgesehen war deshalb für Frauen, denen die Aufbringung der für den Eingriff notwendigen Mittel nicht zumutbar ist, eine der Sozialhilfe vergleichbare Unterstützung aus öffentlichen Kassen. Zur Vermeidung einer gespaltenen Zuständigkeit und daraus resultierenden Erschwernissen für die Schwangere würden die von der Leistungspflicht der Krankenversicherung gemäß § 24b SGB V ausgenommenen Leistungen in gleicher Weise wie die gemäß § 24b Abs. 3 SGB V zum Leistungsumfang gehörenden ärztlichen Maßnahmen als Sachleistungen zur Verfügung gestellt, mit dem einzigen Unterschied, dass die Leistungsgewährung insoweit im Auftrag und für Rechnung des jeweiligen Bundeslandes erfolgt. Durch die Regelungen zur Zuständigkeit und zum Verfahren in § 3 SchwHG (jetzt § 21 SchKG) werde dieses Konzept ergänzt und eine einheitliche Abwicklung des Leistungsgeschehens durch die gesetzlichen Krankenkassen für alle bei Schwangerschaftsabbrüchen notwendig werdenden Maßnahmen angestrebt, einerlei ob Versicherungsleistungen oder Hilfeleistungen nach dem SchwHG betroffen seien.
Rz. 4
Gemäß § 15 SchKG wird über die unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 StGB vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche nach Maßgabe von §§ 16 bis 18 SchKG eine Bundesstatistik vom Statistischen Bundesamt erhoben und aufbereitet. Nach den vorliegenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes erfolgten im Jahr 2015 99.237, im Jahre 2016 98.721 und im Jahre 2017 101.209 Schwangerschaftsabbrüche.