Rz. 15
Die Frage, ob der Leistungsberechtigte einen unbedingten Rechtsanspruch auf eine oder mehrere bestimmte Sozialleistungen hat oder die Verwaltung über die Leistungsgewährung nach Ermessen entscheiden kann, wird durch die Vorschriften der besonderen Bücher bestimmt und von § 38 und § 39 vorausgesetzt. Das Vorliegen einer ausdrücklich die Leistungsgewährung nach Ermessen vorsehenden Vorschrift ist schon wegen des Gesetzesvorbehalts des § 31 für die Verwaltung erforderlich. Auch bei Vorschriften, die Ermessensleistungen zulassen, ist jedoch zu beachten, dass der dafür vorausgesetzte gesetzliche Tatbestand erfüllt ist damit ein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung über einen geltend gemachten (konkreten) Anspruch besteht.
Rz. 16
Da § 38 nur die Sozialleistung nach Ermessen betrifft, setzt dies eine Vorschrift voraus, die die Gewährung einer Leistung ermöglicht. Im Regelfall bestimmen dies die Wörter "kann", "soll" oder "darf" im Zusammenhang mit der Rechtsfolge der Gewährung bestimmter Leistungen. Dabei sind grundsätzlich 2 Arten der Ermessensleistung an den Anspruchsteller möglich; zum einen Leistungen, die als Anspruchsleistungen gar nicht vorgesehen sind (z. B. § 89 BVG), und zum anderen Anspruchsleistungen für Fälle, in denen der an sich dafür erforderliche Tatbestand nicht vorliegt (z. B. § 8 BVG).
Rz. 17
Nicht zu Ermessensleistungen berechtigenden Vorschriften gehören die Regelungen, die es einem Leistungsträger erst gestatten, durch autonomes Recht zusätzliche Leistungen (Mehrleistungen) vorzusehen. Hierbei handelt es sich um die gesetzliche Ermächtigung für eine derartige Satzungsregelung/Anordnung, bei der sich der Einzelanspruch erst aus der Satzung/Anordnung ergibt, wenn von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wurde. Im Regelfall besteht jedoch auch bei satzungsrechtlichen Mehrleistungen ein Rechtsanspruch auf diese Leistung, es sei denn, die Mehrleistung ist, auch von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt, wiederum nur als Ermessensleistung vorgesehen.
Rz. 18
Schlichtes Verwaltungshandeln aufgrund allgemein eingeräumter Rechtsbefugnis (z. B. Stellen eines Insolvenzantrags, Erklärung der Aufrechnung, Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen) hängt zwar grundsätzlich von dem Entschluss zu dieser Handlung ab, stellt jedoch keine Ermessensentscheidung über Leistungsansprüche dar. Insoweit bedeutet nicht jedes "kann" zugleich ein Ermessen mit Überprüfbarkeit der Ermessensausübung i. S. d. § 39, sondern kann auch lediglich die entsprechende rechtliche Möglichkeit, zum Teil sogar die Notwendigkeit kennzeichnen.
Rz. 19
Abzugrenzen von den Ermessensleistungen zulassenden Vorschriften sind Regelungen, die im Tatbestand sog. unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten. Solche generalklauselähnlichen weiten Begriffe stellen im Regelfall gerichtlich voll überprüfbare Rechtsbegriffe dar. Diese lassen vom Grundsatz her nur eine mögliche richtige Entscheidung zu, und diese (Auslegung) entscheidet dann über die Rechtsfolge des Rechtsanspruchs auf die Leistung.
Rz. 20
Weit gefasste auslegungsfähige und -bedürftige gesetzliche Regelungen können jedoch auch auf der Absicht des Gesetzgebers beruhen, der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum für die Entscheidung einzuräumen. Dies kann dann der Fall sein, wenn damit auf die fachliche Kenntnis und Kompetenz der Verwaltung abgestellt und mit den Einzelleistungsansprüchen eines Einzelnen zugleich auch allgemeine arbeitsmarktpolitische Förderabsichten verbunden sind, wie dies z. B. im Bereich der Arbeitsförderung der Fall ist. In diesen Fällen hat die Verwaltung eine eigene Entscheidungskompetenz, die gerichtlich nur hinsichtlich der Richtigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts und der Einhaltung sachlich vertretbarer Wertungen (Willkürverbot) überprüft wird.