Rz. 13
Bei der Beurteilung des vollständigen Tatbestands für das Entstehen der Ansprüche kommt der Frage nach dem Antrag besondere Bedeutung zu. Der Antrag kann sowohl materielle Anspruchsvoraussetzung sein, kann jedoch auch lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung haben. Welche Bedeutung der Antrag hat, ist aus der jeweiligen Anspruchsnorm oder den allgemeinen Vorschriften zu ermitteln (vgl. auch Komm. zu § 41).
Rz. 13a
Für den Bereich der Sozialversicherung bestimmt § 19 Satz 1 SGB IV ganz allgemein, dass Leistungen in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie in der sozialen Pflegeversicherung auf Antrag erbracht werden. Für die Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung bestimmt § 19 Satz 2 SGB IV, dass Leistungen von Amts wegen erbracht werden. Beide Aussagen stehen jedoch unter dem Vorbehalt, dass dies nur dann gilt, soweit sich aus den Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes ergibt. Aufgrund dessen lässt sich § 19 SGB IV nicht als generelle Aussage über das Entstehen von Leistungsansprüchen i. S. d. § 40 interpretieren.
Rz. 14
Der Antrag kann materiell-rechtliche Wirkung haben. Dies dürfte insbesondere in den Fällen gelten, in denen für eine Leistung ein Antrag ausdrücklich vorgeschrieben ist. Dies ist im Regelfall für solche Leistungen von Bedeutung, in denen die Leistung an Bedarfslagen anknüpft und dieser Bedarf geltend gemacht und ggf. nachzuweisen ist (z. B. Wohngeld, BAföG). Hat der Antrag materiell-rechtliche Wirkung, kann er zurückgenommen werden mit der Folge, dass dann nicht nur die Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen ist, sondern dass das Stammrecht und daraus folgend der Einzelanspruch schon nicht entstehen kann.
Rz. 15
Hat der Antrag i. S. der Geltendmachung der Forderung dagegen lediglich verfahrenseinleitende oder -auslösende Bedeutung für den Anspruch, ist und war der Anspruch schon kraft Gesetzes entstanden, und kann nur noch förmlich (deklaratorisch) festgestellt werden. Die Rechtsfolgen, wie z. B. der Wegfall oder das Nichtbestehen anderer Sozialleistungen, treten aber kraft Gesetzes ab dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch entstanden war und nicht erst durch die deklaratorische Anerkennung durch einen Verwaltungsakt. Daher kann wegen der erst später erfolgten Feststellung oder Anerkennung eines Arbeitsunfalls auch der Erstattungsanspruch der zuvor leistenden Krankenkasse wegen Ablauf der Frist des § 111 SGB X ausgeschlossen sein (BSG, Urteil v. 23.9.1997, 2 RU 37/96). War in den Fällen eines nur verfahrensrechtlichen Antrags und deklaratorischen Verwaltungsakts die Leistung abgelehnt worden, kann dieser Verwaltungsakt auch nach Bestandskraft nach § 44 SGB X überprüft und die Sozialleistung unter Beachtung des § 44 Abs. 4 SGB X auch noch für die Vergangenheit nachgefordert werden.
Rz. 16
Desgleichen kommt der Differenzierung zwischen materiellem und verfahrensrechtlichem Antrag Bedeutung für die Verjährung zu. Ist ein Antrag Tatbestandsmerkmal und -voraussetzung eines Anspruchs, kann der Einzelanspruch nicht vorher entstehen und fällig werden und demzufolge auch nicht verjähren. Der materiell-rechtliche Antrag führt auch nicht schon zu einer Unterbrechung der Verjährung (BVerwG, Urteil v. 20.2.1992, 5 C 74/88). Hat der Antrag dagegen lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung, kann die kraft Gesetzes entstandene Leistung zwar auch für zurückliegende Zeiten gefordert werden und unterliegt dann aber auch der Verjährung für die zurückliegenden Zeiten.
Rz. 17
Das Antragserfordernis ist insbesondere materielle Anspruchsvoraussetzung im Kriegsopferrecht (§§ 1, 60 Abs. 1 BVG), im Recht der Arbeitsförderung (§ 323 SGB III), im Rentenrecht (§ 99 SGB VI) und im Kranken- und Pflegeversicherungsrecht (§ 19 SGB IV). Auch im Wohngeldrecht hat der Antrag materiell-rechtliche Bedeutung (§ 22 Abs. 1 WoGG; vgl. dazu BVerwG, Urteil v. 18.4.1997, 8 C 38/95). Die in diesen Zweigen geltenden Regelungen bestimmen auch, ob und in welchem Umfang einem Antrag evtl. auch rückwirkende Bedeutung zukommt, wenn die Voraussetzungen des Anspruchs in dieser Zeit schon vorlagen, was letztlich bestätigt, dass vor dem Antrag ein konkreter Leistungsanspruch noch nicht bestand (a. A. offenbar BSG, Urteil v. 2.8.2000, B 4 RA 54/99 R, das in der Begrenzung der Rückwirkung einen anspruchsvernichtenden Einwand der Nachleistungsbegrenzung sieht). Eine Besonderheit ist hier z. B. die fiktive Umdeutung eines Antrages auf Rehabilitation in einen Rentenantrag nach § 116 Abs. 2 SGB VI, die nur vor dem Hintergrund verständlich ist, dass der Antrag materielle Voraussetzung für die Rente ist.
Rz. 18
Keine materielle Wirkung hat der Antrag im Unfallversicherungsrecht, in dem die Leistungen von Amts wegen zu erbringen sind (§ 19 Satz 2 SGB IV). Allerdings kann auch hier für besondere Einzelansprüche (z. B. bei Abfindungen von Renten nach §§ 75 ff. SGB VII) ein Antrag erforderlich sein, zumal es sich bei Rentenabfindungen um Ermessensleistungen ha...