Rz. 3
Die Vorschrift bezieht sich allein auf den Verzicht von Sozialleistungen i. S. v. § 11 (so auch Bigge, in: Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, SGB I, § 46 Rz. 5; Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 46 Rz. 4, Stand: März 2005; Lilge, SGB I, 4. Aufl., § 46 Rz. 13). Der Verzicht i. S. der Regelung kann sich dem Grunde nach nur auf einen bereits kraft Gesetzes entstandenen und dem Leistungsberechtigten noch zustehenden bestimmten Einzelanspruch als Erfüllungsanspruch (i. S. eines Forderungsrechts gemäß § 194 Abs. 1 BGB) gegenüber dem Sozialleistungsträger beziehen (vgl. Komm. zu § 38), weil erst bei einem zumindest dem Grunde nach entstandenen Leistungsanspruch ein Verzicht möglich ist. Typischerweise wird über den konkreten Leistungsanspruch durch Verwaltungsakt entschieden; für den Verzicht ist dieser jedoch nicht Voraussetzung. Der Verzicht ist bei allen Geld-, Sach- und Dienstleistungen, die zu den Sozialleistungen des § 11 gehören, möglich. Praktische Relevanz hat der ausdrückliche Verzicht allerdings weitgehend nur in Fällen von Geldleistungsansprüchen. Bei Sach- und Dienstleistungen führt das Nichtabrufen oder die Nichtinanspruchnahme dazu, dass diese Leistungen für die Vergangenheit dann nicht mehr erbracht werden können. Denkbar wäre allerdings auch ein ausdrücklicher Verzicht nach der förmlichen Bewilligung des Anspruchs.
Rz. 4
Alle anderen rechtlichen Möglichkeiten, die Voraussetzungen für das Entstehen von Sozialleistungsansprüchen zu verhindern oder zu vermeiden, bleiben von der Vorschrift unberührt. Insbesondere bleibt das Unterlassen eines materiell-rechtlich notwendigen oder verfahrensauslösenden Antrags, die zulässige Beschränkung eines Antrags und die Nichteinlegung von Rechtsbehelfen gegen Ablehnungsbescheide trotz und neben § 46 möglich. Dies kommt zwar, weil Leistungsansprüche dann gar nicht erst entstehen, im Ergebnis einem Verzicht gleich, stellt jedoch keinen Verzicht i. S. d. § 46 dar und ist deshalb nicht daran und an dessen Abs. 2 zu messen (so auch Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 46 Rz. 13, Stand: Juli 2014; Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 46 Rz. 9, Stand: März 2005). Ebenso kann der Berechtigte die Verjährungsfrist für die Geltendmachung der Ansprüche verstreichen lassen. Der Verzicht hat aber neben diesen anderen Möglichkeiten eine eigenständige rechtliche Bedeutung in dem Fall, in dem der Anspruch auf eine Sozialleistung entstanden und betragsmäßig festgestellt ist, der Berechtigte diesen jedoch nicht in Anspruch nehmen will und eine Beseitigung des Stammrechts wegen Bestandskraft des Bescheides nicht mehr möglich ist. Daher ist die eigenständige Regelung über die Zulässigkeit eines materiell-rechtlichen Verzichts auf die Erfüllungsansprüche sinnvoll und notwendig (a. A. wohl Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 46 Rz. 4).
Rz. 5
Der Verzicht kann sich nicht auf einzelne Tatbestandsmerkmale beziehen, die bei dem gesetzlichen Tatbestand (das Stammrecht) zu berücksichtigen sind. Das gilt für gesetzliche Tatbestände einer Pflichtversicherung ebenso wie für bestimmte gesetzliche Berechnungsvorschriften (vgl. BSG, Urteil v. 8.3.1979, 12 RK 32/78, SozSich 1979 S. 347) oder Zuständigkeitsregelungen. Das BSG (Urteil v. 8.10.1987, 9a RVs 10/87, SozSich 1988 S. 190) hat es jedoch für zulässig und möglich erachtet, dass auf die Feststellung bestimmter Gesundheitsstörungen als Behinderung verzichtet werden kann, auch wenn dies dann für den Grad der Behinderung Auswirkungen hat. Diese Entscheidung wird man jedoch eher als einen Fall der zulässigen Beschränkung des Antrags auf Feststellung der Schwerbehinderung nur nach bestimmten Gesundheitsstörungen und nicht als eines Verzichts ansehen müssen.
Rz. 6
Der Verzicht ist abzugrenzen von den Fällen, in denen mit einem materiellrechtlichen Antrag der Anspruch i. S. d. Stammrechts erst entsteht, und in denen der Antrag zurückgenommen wird. Das ist grundsätzlich bis zur Bestandskraft des Bewilligungsbescheides möglich (BSG, Urteil v. 17.4.1986, 7 RAr 81/84, BSGE 60 S. 79 zum Antrag auf Arbeitslosengeld). Die Antragsrücknahme führt dann zum Fehlen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmales und damit zum Wegfall des konkreten Leistungsanspruchs (aus dem Stammrecht) selbst, so dass dieser erst gar nicht entsteht. Dies kann in den Fällen von Bedeutung sein, wenn ein künftiger Anspruch gepfändet worden ist, weil diese Pfändung dann ins Leere läuft, oder die beantragte Leistung eine höhere Leistung ausschließen würde. In diesen Fällen steht auch Abs. 2 einer Antragsrücknahme nicht entgegen. Ist jedoch auf Aufforderung einer Krankenkasse (§ 51 SGB V) ein Rentenantrag gestellt worden, kann dieser nur mit Zustimmung der Krankenkasse zurückgenommen werden (BSG, Urteil v. 9.8.1995, 13 RJ 43/94, USK 95171), weil er dann nicht mehr allein zur Disposition des Berechtigten steht.