Rz. 9
Der Gesundheitsschaden muss als Folge eines besonderen Opfers eingetreten sein. Was unter dem Begriff "besonderes Opfer" zu verstehen ist, wird in § 5 Satz 1 nicht definiert. Das BSG versteht hierunter die Fallgestaltungen, denen ein Sonderopfer zugrunde liegt, die mithin einen Aufopferungsanspruch begründen. Nach § 1 Abs. 1 BVG sind die Folgen typischen Kriegsgeschehens zu entschädigen. Der Staat hat damit die ihm obliegende Entschädigungspflicht auch und gerade den Kriegsopfern gegenüber anerkannt, weil er den Einsatz der Gesundheit, des eigenen Lebens und des Lebens der Angehörigen verlangt hat (BSG, Urteil v. 13.12.1966, 10 RV 447/65, BSGE 26 S. 30). Dieser im BVG verankerte Aufopferungsanspruch (BVerfG, Beschluss v. 30.5.1978, 1 BvL 26/76, BVerfGE 48 S. 281, 288) ist in der 1. Alternative des § 5 Satz 1 geregelt (so BSG, Urteil v. 23.10.1985, 9a RVg 4/83, SozR 3800 § 1 Nr. 5 ).
Hier zeigt sich neuerlich der Charakter der Vorschrift als Programmsatz mit schlichter Leitfunktion. Demgemäß wird dieses Normelement durch die spezialgesetzlichen Vorschriften und Leistungssysteme präzisiert. An erster Stelle sind hier die anspruchsbegründenden Vorschriften der §§ 1 bis 8b BVG zu nennen; weitere Anspruchsnormen finden sich z. B. in § 80 SVG, § 47 ZDG, § 1 OEG und §§ 4, 5 HHG. Jeweils wird das "besondere Opfer" spezialgesetzlich als anspruchsbegründendes Tatbestandselement eigenständig formuliert.
Rz. 10
Die Schwere des Gesundheitsschadens allein rechtfertigt das Eintreten der staatlichen Gemeinschaft nicht. Hinzutreten muss der kausale Zusammenhang zwischen Entstehungsgrund (schädigender Vorgang) und Primärschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Primärschaden und der Schädigungsfolge (haftungsausfüllende Kausalität). Entschädigungsfähig sind nicht nur unmittelbar durch das schädigende Ereignis bedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen. Ferner können auch mittelbar durch den schädigenden Vorgang verursachte neue Primärschäden Entschädigungsansprüche auslösen. So können auch die bei einem Sekundäropfer eingetretenen Schockschäden zu Entschädigungsansprüchen führen. Ein solcher Schockschaden wird allerdings nur dann vom OEG erfasst, wenn das Sekundäropfer als Augenzeuge des das Primäropfer schädigenden Vorganges oder durch sonstige Kenntnisnahme davon geschädigt worden ist; bei Sekundäropfern handelt es sich insbesondere um Personen, die infolge des gegen einen nahen Angehörigen gerichteten tätlichen Angriffs einen Schockschaden erlitten haben (BSG, Urteil v. 12.6.2003, B 9 VG 8/01 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 3). Maßgebliches Kriterium für den erforderlichen engen Zusammenhang zwischen der das Primäropfer betreffenden Gewalttat und den psychischen Auswirkungen beim Sekundäropfer ist die zeitliche und örtliche Nähe zum primär schädigenden Ereignis und/oder die personale Nähe zum Primäropfer. Eine zu einem Schockschaden führende Schädigung i. S. d. OEG liegt vor, wenn das belastende Ereignis eine – unter Umständen zunächst weitgehend symptomlose – seelische Reaktion des Sekundäropfers von einigem Gewicht bewirkt (BSG, Urteil v. 12.6.2003, B 9 VG 1/02 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 3; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 11.12.2013, L 7 VE 11/11, juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 28.6.2012, L 10 VE 56/10, juris).