Rz. 15
Die Aufrechnungslage setzt weiterhin voraus, dass der Sozialleistungsträger vom Sozialleistungsberechtigten die Gegenforderung fordern und er seinerseits seine Geldleistung bewirken kann. Das setzt voraus, dass die Gegenforderung nicht nur entstanden, sondern auch schon fällig sein muss. Die als typische Gegenleistung in Betracht kommenden Leistungserstattungsansprüche müssen daher im Regelfall durch Bescheid geltend gemacht worden sein (§ 50 Abs. 3 SGB X) oder es müssen Beitragsansprüche nach §§ 23 ff. SGB IV fällig geworden sein. Die Hauptforderung muss dagegen noch nicht fällig, sondern lediglich erbringbar sein, was bereits schon vor der Fälligkeit der Fall ist. Daher ist auch die Aufrechnung mit erst künftig fälligen Einzelansprüchen einer Dauerleistung mit Wirkung zum künftigen Fälligkeitszeitpunkt möglich (BSG, Urteil v. 26.9.1991, 4/1 RA 33/90, SozR 3-1200 § 52 Nr. 2).
Rz. 16
Eine abweichende Sonderregelung zur Aufrechnung enthält § 28 Nr. 2 SGB IV für den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge, der mit Zustimmung des Berechtigten auch die Aufrechnung mit erst künftigen Beitragsansprüchen zulässt und damit eine Ausnahme von der Fälligkeit der Gegenforderung enthält (vgl. Komm. zu § 28 SGB IV).
Rz. 17
Soweit Anspruch und Gegenanspruch durch Verwaltungsakte festgesetzt oder festgestellt werden, hindert ein anhängiges Widerspruchs- oder Klageverfahren die Aufrechnung nicht, da diese Verwaltungsakte bis zur Aufhebung oder Änderung Bestand haben (§ 39 SGB X). Lediglich die Wirkungen der Aufrechnung hinsichtlich des Umfangs der Erfüllung oder des Erlöschens der Forderungen hängen in diesen Fällen vom jeweiligen Ausgang der Verfahren ab.
Rz. 18
Der Anspruch des Sozialleistungsträgers dem Berechtigten gegenüber muss voll wirksam sein, diesem dürfen also keine der Durchsetzung des Anspruchs hindernden Einreden entgegenstehen (§ 390 Satz 1 BGB). Dabei muss die Einrede noch nicht geltend gemacht sein. Als Einrede kommt im Sozialrecht wohl nur die Verjährung in Betracht, soweit nicht die Gegenforderung ihren Rechtsgrund im Zivilrecht hat und mit zivilrechtlichen Einreden (Zurückbehaltungsrecht, nicht erfüllter Vertrag, beschränkte Erbenhaftung etc.) behaftet ist. Im Unterschied zur Verjährung ist jedoch zu beachten, dass die Nichteinhaltung von Antragsfristen bereits den Anspruch ausschließt, also nicht nur zu einer Einrede führt.
Rz. 19
Für die Verjährung ist jedoch zu beachten, dass diese dann die Aufrechnung nicht ausschließt, wenn die Aufrechnungslage bereits vor Eintritt der Verjährung bestand (§ 390 Satz 2 BGB). Ob daher die Verjährung schon von Amts wegen oder erst auf ausdrückliche Erklärung hin zu berücksichtigen ist, kann daher für die Frage der Aufrechenbarkeit dahingestellt bleiben, denn diese Frage berührt nicht den in der Vergangenheit bestehenden Gegenanspruch. So wie die Einrede nicht erhoben sein muss, um die Aufrechnung auszuschließen, muss die Aufrechnung daher auch nicht schon vor Eintritt der Verjährung erklärt worden sein.