Rz. 20

Eine bestehende Aufrechnungslage allein führt nicht zu Rechtsfolgen. Vielmehr bedarf es der Aufrechnungserklärung, um Rechtsfolgen aus der Aufrechnungslage herbeizuführen. Bei der Aufrechnungserklärung handelt es sich um eine formlose, einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die nicht bedingt oder mit Vorbehalten versehen sein darf (§ 388 BGB). Der Verwendung des Ausdrucks "Aufrechnung" bedarf es nicht; ausreichend ist der Hinweis auf eine Nichtleistung unter Hinweis auf eine bestehende Gegenforderung. Keine unzulässige Bedingung bei der Aufrechnung ist die Rechtsbedingung, wenn etwa der Sozialleistungsträger den geltend gemachten Anspruch des Berechtigten bestreitet und für den Fall des Bestehens des Anspruchs die Aufrechnung mit einer Gegenforderung erklärt wird (Eventualaufrechnung).

 

Rz. 21

Dem Sozialleistungsträger ist, wie im Zivilrecht und für den Sozialleistungsberechtigten für den Bereich des Sozialrechts, die Abgabe der Aufrechnungserklärung nur als Möglichkeit (Gestaltungsrecht) zur Herbeiführung der Erfüllungswirkung eingeräumt. Daher bezeichnet das "kann" (wie in § 387 BGB und entgegen der wohl überwiegenden Meinung) richtigerweise nicht eine Ermessensentscheidung i.S.d. § 39, sondern wie im Zivilrecht das rechtliche Dürfen (Entschließungsermessen, Kompetenz-Kann) zur Herbeiführung der mit der Aufrechnungslage durch die Abgabe der Aufrechnungserklärung verbundenen Rechtsfolgen. Da Sozialleistungsträger aus § 76 SGB IV und Gründen des Haushaltsrechts zur Verfolgung ihrer Forderungen verpflichtet sind, die Frage des möglichen Umfangs der Aufrechenbarkeit schon durch § 51 selbst geregelt ist, ist auch nicht erkennbar, auf welche Grenzen des "Ermessens" (Entscheidung zur Aufrechnungserklärung) hin die interne Entscheidung zur Erklärung der Aufrechnung gerichtlich überprüfbar sein könnte.

 

Rz. 21a

Dem steht nicht entgegen, dass in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/686 S. 32) ausgeführt ist, dass der Leistungsträger bei der Ausübung seines Ermessens, ob und in welchem Umfang er aufrechnet, auch den Zweck der einzelnen Sozialleistung zu berücksichtigen habe; insbesondere dürften Leistungen, die Kindern des Leistungsberechtigten zufließen sollen, nicht gekürzt werden, um in anderem Zusammenhang entstandene Verpflichtungen abzudecken. Diese Ausführungen lassen allenfalls den Schluss darauf zu, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass der Sozialleistungsträger, wie auch im Zivilrecht, nicht zur Aufrechnung verpflichtet ist und sich bei seinem Entschluss zur Erklärung der Aufrechnung und deren Umfang (Entschließungsermessen), davon leiten lassen soll, dass der Zweck der Sozialleistung gewahrt bleibt. In soweit ist der in der Gesetzesbegründung verwendete Begriff des Ermessens wohl eher untechnisch im Sinne von Handlungsspielraum zu verstehen.

 

Rz. 22

Umstritten ist nach wie vor die Frage, ob die Aufrechnung oder die Aufrechnungserklärung einen Verwaltungsakt oder lediglich eine einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung des Sozialleistungsträgers darstellt, was erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Leistungsträger hätte. Stellt die Aufrechnung einen Verwaltungsakt dar, setzt dies Anhörung, Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung voraus. Ist die Aufrechnungserklärung dagegen lediglich eine einseitige rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärung, wäre sie als Verwaltungsakt unzulässig, ein gleichwohl in dieser Form erklärter formeller Verwaltungsakt wäre mangels Ermächtigungsgrundlage als rechtswidrig aufzuheben, die Erklärung der Aufrechnung wäre aber weiter wirksam.

 

Rz. 22a

Die wohl überwiegende Meinung in der Literatur (Giese, in: Giese/Krahmer, SGB I, Stand: Juni 2004, § 51 Anm. 6.2; H. Lilge, in: Lilge, SGB I, Stand: 1/07, § 51 Anm. 2.6; Thieme, in: Wannagat, SGB I, § 51 Rz. 10; Hauck, in: Hauck/Noftz, SGB I, Stand: V/99, § 51 Rz. 5; v. Maydell, in: GK-SGB I, 3. Aufl., § 51 Rz. 57; Hartmann, SozVers 1995 S. 293; Günther, SGb 1999 S. 609; Wehrhahn, SGb 2007 S. 468), ging bisher vom Vorliegen und dem Erfordernis eines Verwaltungsakts für die Aufrechnung aus und folgte damit der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 25.3.1982, 10 RKg 2/81, SozR 1200 § 52 Nr. 6 = BSGE 53 S. 208; Urteil v. 27.3.1996, 14 REg 10/95, BSGE 78 S. 132 = SozR 3-1200 § 51 Nr. 5).

 

Rz. 22b

Es wird bei der Annahme und der Begründung dafür, dass die Aufrechnung einen Verwaltungsakt darstellt, allerdings nicht immer deutlich, ob die Aufrechnung an sich, die Aufrechnungserklärung oder evtl. die in einem Bescheid über Sozialleistungen erhaltene Aufrechnungserklärung mit Wiedergabe der rechnerischen Folgen der Aufrechnungserklärung (Reduzierung oder Erlöschen der festgestellten Ansprüche) den Verfügungssatz des Verwaltungsakts darstellt oder darstellen soll. Soweit, abgeleitet aus § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X, generell ein belastender Verwaltungsakt angenommen wird, wird zudem zumeist nur auf die Folge der verringerten Auszahlung der Sozialleistung infolge der Aufrechnungserklärung abgestellt. Nicht berücksichtigt wird dabei jedoch, dass die erk...

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