Rz. 11
Gegenstand persönlichen Erscheinens sind notwendige Maßnahmen für die Entscheidung über die Leistung. Zu Untersuchungsmaßnahmen vgl. § 62. Hauptanwendungsfall ist die im Gesetz ausdrücklich genannte mündliche Erörterung des Antrages. Damit wird nicht ausgeschlossen, dass eine persönliche Vorsprache zur mündlichen Erörterung auch notwendig sein kann, wenn die Leistung bereits erbracht wird. Mündliche Erörterungen können aus unterschiedlichsten Gründen notwendig sein. Meist wird es darum gehen, unvollständige Anträge durch Angaben zu vervollständigen, Unplausibilitäten aufzuklären oder den Betroffenen hinsichtlich seiner Gestaltungsmöglichkeiten zu beraten (§ 14). Nicht selten stellt sich die mündliche Erörterung auch als die effektivste und damit effizienteste Methode dar, den Abschluss eines Verwaltungsverfahrens vorzubereiten.
Rz. 12
Andere notwendige Maßnahmen dienen hauptsächlich zur Feststellung einer persönlichen Eignung, die nicht nach Aktenlage vorgenommen werden kann, z. B. für eine berufliche Weiterbildung, für eine Rehabilitationsmaßnahme (z. B. Inaugenscheinnahme, Gesundheitszustand). Das kann häufig vor zu erstellenden Prognosen über das Verhalten des Leistungsberechtigten angenommen werden.
Rz. 13
Die Rechtsprechung hat im Falle der Rentenzahlungen an die Bewohner der "Colonia Dignidad" in Chile betont, dass ein persönliches Erscheinen auch angezeigt sein kann, wenn der Leistungsträger Anhaltspunkte dafür gewinnt, dass Sozialleistungen dem Berechtigten aufgrund physischer oder psychischer Fremdbestimmung vorenthalten werden (BSG, Urteil v. 22.2.1995, 4 RA 44/94). Das persönliche Erscheinen diene dann der Sicherstellung des Leistungsbezugs i. S. d. § 17.
Rz. 13a
Das Verlangen eines persönlichen Erscheinens ist nicht berechtigt, wenn die persönliche Vorsprache dazu dienen soll, in unzulässiger Weise Mitwirkungshandlungen zu verlangen. Das wäre z. B. der Fall, wenn das Jobcenter einem Antragsteller aufgeben will, Urkunden von einem privaten Dritten zu beschaffen und vorzulegen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.9.2016, L 7 AS 3613/15). Auskunftspflichten, die Dritte betreffen, sollen sich allenfalls auf Tatsachen erstrecken, die dem Leistungsberechtigten selbst bekannt sind. Ihm obliegt grundsätzlich keine Ermittlungspflicht gegenüber Dritten. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn der betroffene Dritte die Preisgabe bereits abgelehnt hat. Auch ein Verlangen, einen Antrag mit einem Dritten gemeinsam zu stellen, ist danach unzulässig, das Jobcenter muss die für relevant erachteten Auskünfte direkt bei dem Dritten einholen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 11.1.2008, 7 AS 772/07 ER). Daher darf der Antragsteller zu solchen Zwecken auch nicht zur persönlichen Vorsprache aufgefordert werden. Im Übrigen wird eine Aufforderung stets an der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit der persönlichen Vorsprache zu messen sein.
Rz. 14
§ 61 ist als Sollvorschrift ausgelegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller oder Leistungsbezieher im Regelfall einer Einladung zum persönlichen Erscheinen Folge leisten muss. Im atypischen Fall kann er die Vorsprache jedoch verweigern, die Grenzen seiner Mitwirkungspflicht enthält neben § 61 selbst die Vorschrift des § 65 über die Grenzen der Mitwirkung. Fraglich ist, wann der Antragsteller bzw. Leistungsempfänger eine Pflichtverletzung begeht, indem er nicht entsprechend § 61 persönlich erscheint. Soll er etwa eine Beweisurkunde vorlegen, hält diese aber selbst noch nicht in Händen, mag keine Pflichtverletzung gegen § 60 vorliegen. Ein solcher Umstand berechtigt jedoch nicht, dem Verlangen des Sozialleistungsträgers nach § 61 zur persönlichen Vorsprache nicht nachzukommen; denn gerade dieser Umstand kann Gegenstand notwendiger Erörterungen werden, um eine Entscheidung über die Bewilligung bzw. Weiterzahlung der Leistung zu ermöglichen (z. B. Aufnahme einer wahrheitsgemäßen Erklärung). Kein Bürger soll zur persönlichen Vorsprache gezwungen werden, Konsequenz einer Verletzung der Mitwirkungspflichten ist allerdings die Versagung oder Entziehung der Leistung nach Maßgabe des § 66.
Rz. 15
Durch die persönliche Vorsprache entstehende Kosten trägt der Leistungsträger. Der Betroffene kann Aufwendungsersatz nach Maßgabe des § 65a verlangen (vgl. die Komm. dort).