Rz. 2
§ 65 regelt die Grenzen der Mitwirkungspflichten von Antragstellern oder Beziehern von Sozialleistungen und gewährleistet damit verschiedene verfassungsmäßig garantierte Grundsätze, neben der Abgrenzung zur Amtsermittlungspflicht insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot im rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren. Dazu listet die Vorschrift Sachverhalte und Tatbestände auf, bei deren Vorliegen die in den §§ 60 bis 64 normierten Mitwirkungspflichten nicht bestehen sowie Behandlungen und Untersuchungen ohne die sich aus § 66 ergebende Rechtsfolge der Versagung oder Entziehung der Leistung abgelehnt werden können. Insoweit erachtet der Gesetzgeber die Durchsetzung der Mitwirkungspflichten für den Betroffenen als unzumutbar. Aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen darf der Mitwirkende Angaben verweigern, die ihn oder eine ihm nahe stehende Person der Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat aussetzen könnten. Zu den Grenzen von Mitwirkungspflichten sind in anderen Gesetzen i. d. R. keine speziellen Vorschriften vorhanden (vgl. aber §§ 18, 18a SGB XI), in diesem Bereich spezialgesetzlicher Mitwirkungsobliegenheiten werden die Grundsätze des § 65 stets zu berücksichtigen sein.
Abs. 1 Nr. 1 betont den verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verneint eine Mitwirkungspflicht, die den Sozialleistungsberechtigten angesichts der begehrten oder empfangenen Leistung über Gebühr belastet, weil die Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht im angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung steht. Das kann sich sowohl auf die Sozialleistung der Höhe nach wie auch auf die Herkunft der Finanzierung (Beitragsmittel oder Steuermittel) beziehen.
Abs. 1 Nr. 2 entlässt den Betroffenen aus der Mitwirkungspflicht, wenn ihm diese aus wichtigem Grund nicht zugemutet werden kann. Das kann der Fall sein, wenn die Mitwirkungshandlung unverhältnismäßig schwer auszuführen ist.
Abs. 1 Nr. 3 greift den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nochmals auf und grenzt die Amtsermittlungspflicht von der Mitwirkungspflicht nach dem jeweils entstehenden Aufwand voneinander ab. Im Sinne einer zügig herbeizuführenden Entscheidung im Verwaltungsverfahren trifft denjenigen die Last der Beschaffung notwendiger Erkenntnisse, dem geringerer Aufwand entsteht.
Abs. 2 gewährt dem Leistungsberechtigten ein Recht auf Ablehnung einer verlangten Behandlung oder Untersuchung, wenn diese gesundheitsschädlich sein könnte (Abs. 2 Nr. 1), erhebliche Schmerzen verursachte (Abs. 2 Nr. 2) oder einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeutete. In diesen Fällen liegt es im Ermessen des Berechtigten, das Verlangen des zuständigen Leistungsträgers abzulehnen.
Das Zeugnisverweigerungsrecht in Abs. 3 entspricht den in einschlägigen Prozessordnungen enthaltenen Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten, wenn die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit besteht. Das entspricht wiederum allgemein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch angesichts der Relativität der Risiken für die Sozialleistungsträger (vgl. schon Abs. 1 Nr. 1). Nahe stehende Personen sind der Ehegatte, Verlobte und Lebenspartner sowie weitere Verwandte.
Aus dem Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und hilfebedürftiger Person ergeben sich auch Mitwirkungsobliegenheiten ihrerseits gegenüber dem Rentenversicherungsträger im Hinblick auf die von diesem abzugebende gutachterliche Stellungnahme zu ihrer Erwerbsfähigkeit (BSG, Urteil v. 26.11.2020, B 14 AS 13/19 R).