0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Abs. 3 wurde mit Wirkung zum 1.1.1983 neu gefasst durch das SGB X v. 4.11.1982 (BGBl. I S. 1450).
Abs. 1 Nr. 1 wurde mit Wirkung zum 1.1.1986 ergänzt durch das BErzGG v. 6.12.1985 (BGBl. I S. 2154).
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 65 regelt die Grenzen der Mitwirkungspflichten von Antragstellern oder Beziehern von Sozialleistungen und gewährleistet damit verschiedene verfassungsmäßig garantierte Grundsätze, neben der Abgrenzung zur Amtsermittlungspflicht insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot im rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren. Dazu listet die Vorschrift Sachverhalte und Tatbestände auf, bei deren Vorliegen die in den §§ 60 bis 64 normierten Mitwirkungspflichten nicht bestehen sowie Behandlungen und Untersuchungen ohne die sich aus § 66 ergebende Rechtsfolge der Versagung oder Entziehung der Leistung abgelehnt werden können. Insoweit erachtet der Gesetzgeber die Durchsetzung der Mitwirkungspflichten für den Betroffenen als unzumutbar. Aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen darf der Mitwirkende Angaben verweigern, die ihn oder eine ihm nahe stehende Person der Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat aussetzen könnten. Zu den Grenzen von Mitwirkungspflichten sind in anderen Gesetzen i. d. R. keine speziellen Vorschriften vorhanden (vgl. aber §§ 18, 18a SGB XI), in diesem Bereich spezialgesetzlicher Mitwirkungsobliegenheiten werden die Grundsätze des § 65 stets zu berücksichtigen sein.
Abs. 1 Nr. 1 betont den verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verneint eine Mitwirkungspflicht, die den Sozialleistungsberechtigten angesichts der begehrten oder empfangenen Leistung über Gebühr belastet, weil die Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht im angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung steht. Das kann sich sowohl auf die Sozialleistung der Höhe nach wie auch auf die Herkunft der Finanzierung (Beitragsmittel oder Steuermittel) beziehen.
Abs. 1 Nr. 2 entlässt den Betroffenen aus der Mitwirkungspflicht, wenn ihm diese aus wichtigem Grund nicht zugemutet werden kann. Das kann der Fall sein, wenn die Mitwirkungshandlung unverhältnismäßig schwer auszuführen ist.
Abs. 1 Nr. 3 greift den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nochmals auf und grenzt die Amtsermittlungspflicht von der Mitwirkungspflicht nach dem jeweils entstehenden Aufwand voneinander ab. Im Sinne einer zügig herbeizuführenden Entscheidung im Verwaltungsverfahren trifft denjenigen die Last der Beschaffung notwendiger Erkenntnisse, dem geringerer Aufwand entsteht.
Abs. 2 gewährt dem Leistungsberechtigten ein Recht auf Ablehnung einer verlangten Behandlung oder Untersuchung, wenn diese gesundheitsschädlich sein könnte (Abs. 2 Nr. 1), erhebliche Schmerzen verursachte (Abs. 2 Nr. 2) oder einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeutete. In diesen Fällen liegt es im Ermessen des Berechtigten, das Verlangen des zuständigen Leistungsträgers abzulehnen.
Das Zeugnisverweigerungsrecht in Abs. 3 entspricht den in einschlägigen Prozessordnungen enthaltenen Zeugnis- und Aussageverweigerungsrechten, wenn die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit besteht. Das entspricht wiederum allgemein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch angesichts der Relativität der Risiken für die Sozialleistungsträger (vgl. schon Abs. 1 Nr. 1). Nahe stehende Personen sind der Ehegatte, Verlobte und Lebenspartner sowie weitere Verwandte.
Aus dem Rechtsverhältnis zwischen Jobcenter und hilfebedürftiger Person ergeben sich auch Mitwirkungsobliegenheiten ihrerseits gegenüber dem Rentenversicherungsträger im Hinblick auf die von diesem abzugebende gutachterliche Stellungnahme zu ihrer Erwerbsfähigkeit (BSG, Urteil v. 26.11.2020, B 14 AS 13/19 R).
2 Rechtspraxis
2.1 Mitwirkungsgrenzen und Leistungsvoraussetzungen
Rz. 3
§ 65 ist unter den Aspekten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit formuliert worden. Die Vorschrift ergänzt Grenzen der Mitwirkungspflicht, die sich nicht schon aus der dem Verlangen des zuständigen Sozialleistungsträgers zugrunde liegenden Vorschrift ergeben. Das Vorliegen einer der Tatbestände der Vorschrift hindert den Eintritt von Rechtsfolgen nach § 66. Die beantragte Leistung darf nicht versagt, die laufende Leistung nicht entzogen werden, weil der Leistungsberechtigte seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist. Eine in diesem Zusammenhang denkbare Folge kann sein, dass sich mangels Mitwirkungshandlung die Voraussetzungen für das Erbringen der Sozialleistung nicht erweisen lassen. Liegt dies allein in der Sphäre des Antragstellers/Leistungsbeziehers, kann die Beweislast mit der Folge umgekehrt werden, dass die Nichterweislichkeit zulasten des Antragstellers geht, statt der vorläufigen Rechtsfolge des § 66 die Leistung abgelehnt bzw. die Leistungsbewilligung aufgehoben wird. Das zeigt sich z. B. bei der Ablehnung von Untersuchungen nach § 62. Diese sind nur zugelassen, wenn sie für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind, woraus sich ergibt, dass ohne eine Untersuchung die Leistungsvoraussetzungen ...