2.1 Mitwirkungsgrenzen und Leistungsvoraussetzungen

 

Rz. 3

§ 65 ist unter den Aspekten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit formuliert worden. Die Vorschrift ergänzt Grenzen der Mitwirkungspflicht, die sich nicht schon aus der dem Verlangen des zuständigen Sozialleistungsträgers zugrunde liegenden Vorschrift ergeben. Das Vorliegen einer der Tatbestände der Vorschrift hindert den Eintritt von Rechtsfolgen nach § 66. Die beantragte Leistung darf nicht versagt, die laufende Leistung nicht entzogen werden, weil der Leistungsberechtigte seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist. Eine in diesem Zusammenhang denkbare Folge kann sein, dass sich mangels Mitwirkungshandlung die Voraussetzungen für das Erbringen der Sozialleistung nicht erweisen lassen. Liegt dies allein in der Sphäre des Antragstellers/Leistungsbeziehers, kann die Beweislast mit der Folge umgekehrt werden, dass die Nichterweislichkeit zulasten des Antragstellers geht, statt der vorläufigen Rechtsfolge des § 66 die Leistung abgelehnt bzw. die Leistungsbewilligung aufgehoben wird. Das zeigt sich z. B. bei der Ablehnung von Untersuchungen nach § 62. Diese sind nur zugelassen, wenn sie für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind, woraus sich ergibt, dass ohne eine Untersuchung die Leistungsvoraussetzungen nicht vollständig zu erweisen sind. Vor der Bewilligung von Leistungen (jedenfalls nach dem SGB II) ist das zuständige Jobcenter berechtigt, die Vorlage von Identitätsnachweisen bzw. Personalausweisen zu verlangen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 15.5.2014, L 31 AS 762/14 B ER).

2.2 Keine Mitwirkungspflicht (Abs. 1)

 

Rz. 4

Abs. 1 listet die Tatbestände auf, bei denen eine Mitwirkungspflicht nach den §§ 60 bis 64 erst gar nicht entsteht. Das bedeutet nicht nur, dass der Leistungsberechtigte von ihm geforderte Mitwirkungshandlungen verweigern darf, sondern insbesondere, dass der Sozialleistungsträger die Mitwirkung erst gar nicht verlangen darf, so dass sich der Leistungsberechtigte darauf nicht berufen muss. Allerdings ist diese Rechtsfolge auf die Reichweite des Tatbestandes beschränkt. Das führt dazu, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine bestimmte Mitwirkungshandlung, wenn sie denn nach der zugrunde liegenden Vorschrift zulässigerweise verlangt werden dürfte, die Grenzen des § 65 überschreiten würde oder nicht. Im Rahmen der Mitwirkung ist die Vorlage von Unterlagen und die Abgabe von Erklärungen zumutbar, um den Bedarf und die Hilfebedürftigkeit zu belegen. Die Mitwirkungspflichten entfallen nicht aufgrund belastender genereller Lebensumstände (Bay. LSG, Beschluss v. 20.10.2011, L 7 AS 872/10), z. B. der Erziehung und Betreuung mehrerer Kinder. Im entschiedenen Verfahren hatte sich die Klägerin schon für die Antragstellung eines Bevollmächtigten bedient.

 

Rz. 5

Die Grenzen nach Abs. 1, die im Wesentlichen für die §§ 60 bis 62 von Bedeutung sind, resultieren aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das gilt auch bei den Anforderungen an Verfahrensbeteiligte bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe (BSG, Urteil v. 9.10.2012, B 5 R 168/12 B). Damit wird sozusagen zwischen der Amtsermittlungspflicht der Behörde und der Mitwirkungspflicht des Leistungsberechtigten abgewogen. Durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht, dass dem Antragsteller oder Leistungsbezieher keine Pflicht auferlegt werden darf, deren Erfüllung im Vergleich zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung unangemessen wäre oder ihm wegen besonderer Umstände aus dem persönlichen Bereich nicht zuzumuten ist. Bei der Beurteilung ist nicht allein die Mitwirkungshandlung zu beurteilen, das Verlangen ist vielmehr im Kontext der spezialgesetzlichen Regelungen zu sehen, etwa von Anspruchsvoraussetzungen, der Gefahr von Missbrauch oder Sanktionsvorschriften.

 

Rz. 6

Abs. 1 Nr. 1 verneint eine Mitwirkungspflicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder zu der zu erstattenden Sozialleistung steht. Dabei ist abzuwägen, ob Art und Umfang der in Anspruch genommenen Sozialleistung bzw. Erstattung den durch die Mitwirkungshandlung beim Leistungsberechtigten bzw. Erstattungspflichtigen entstehenden Aufwand rechtfertigen können. Das ist nur der Fall, wenn dieser Aufwand angemessen ist. Die Angemessenheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich voll nachprüfbar ist. Die Auslegung des Beurteilungsspielraumes des zuständigen Leistungsträgers muss sich an den einzelnen Mitwirkungspflichten orientieren. Auch bei einmaligen und dem Umfang nach relativ geringen Sozialleistungen wird es regelmäßig nicht als unangemessen empfunden werden können, wenn Antragsvordrucke vollständig auszufüllen sind, Beweismittel bezeichnet und vorgelegt werden müssen oder Zweifel an den Leistungsvoraussetzungen durch eine mündliche Erörterung oder sonst geeignete Maßnahme ausgeräumt werden. Im Zusammenhang mit einem Verlangen nach Vorlage der Kontenauszüge der letzten 3 Monate an einen Antragsteller auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat das BSG klarg...

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