Rz. 16
Abs. 2 schützt die körperliche Unversehrtheit. Die Regelungen haben aber nur geringe praktische Bedeutung. Leistungsberechtigte können Mitwirkungshandlungen ablehnen, die ihren Körper nicht unangetastet lassen. Darauf wird jedoch nur ausnahmsweise ein Leistungsträger beharren, insbesondere in Bezug auf chirurgische Eingriffe. Die Regelung fokussiert auf die Untersuchungsmaßnahmen und Heilbehandlungen (§§ 62 und 63). Bei Vorliegen eines Ablehnungsgrundes nach Nr. 1 bis 3 muss sich der Betroffene hierauf berufen, wenn er von seinem Ablehnungsrecht Gebrauch machen will. Aus der Formulierung "können verweigert werden" ist die Notwendigkeit einer Einrede abzuleiten. Der Gesetzgeber hat ihm einen Entscheidungsspielraum belassen, die Untersuchung oder Behandlung gleichwohl zu dulden. Der Rechtsgedanke des § 65 Abs. 2 kann nicht in Spezialrecht übertragen werden, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nicht feststehen (vgl. dazu § 102 SGB VI und das Urteil des BSG v. 29.3.2006, B 13 RJ 31/05 R). Der Leistungsträger wird Betroffene über die mögliche Einrede aufklären und ggf. beraten müssen. Aus einer berechtigten Ablehnung kann nicht gefolgert werden, dass dem begehrten Leistungsanspruch nunmehr nichts mehr im Wege steht. Vielmehr bleibt es dabei, dass für die Leistungsgewährung die Leistungsvoraussetzungen vorliegen und nachgewiesen sein müssen. Ist dies aufgrund der berechtigten Ablehnung des Antragstellers nicht mehr möglich und liegt die nachzuweisende Tatsache in der Sphäre des Mitwirkungspflichtigen, kann sich hieraus eine Umkehr der Beweislast mit der Folge ergeben, dass die Nichterweislichkeit zulasten des Antragstellers ausfällt.
Rz. 17
Abs. 2 Nr. 1 betrifft Untersuchungen oder Behandlungen, die zu einem Schaden für Leben oder Gesundheit des Betroffenen führen können. Nach Auffassung dieses Kommentars darf jegliche lebensbedrohliche Mitwirkungshandlung vom Leistungsträger nicht verlangt werden. Das gilt auch für an sich nicht lebensbedrohliche Handlungen, die gemeinsam mit anderen feststellbaren Sachverhalten Lebensgefahr auslösen können, etwa durch Unverträglichkeitsrisiken, Überempfindlichkeiten oder Narkoserisiken. Es obliegt dem Leistungsträger, Vorsorge dafür zu treffen, dass bei jedem Verlangen Lebensgefahr ausgeschlossen werden kann. Eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür darf nicht genügen. Insoweit bedarf es in Abs. 2 der Regelung für Lebensgefahren nicht.
Rz. 18
Gesundheitsschäden i. S. der Vorschrift sind dauerhafte Schäden jeglichen Gewichts, als auch geringfügige Schäden und im Übrigen vorübergehende nicht unerhebliche Schäden. Damit werden die nach dem Wortlaut der Vorschrift ebenfalls zur Ablehnung berechtigenden geringfügigen Beeinträchtigungen von kurzer Dauer nicht von Nr. 1 erfasst, typischerweise Bagatellschäden. Abs. 2 Nr. 1 meint also eine auf Dauer angelegte Verschlechterung des Gesundheitszustandes in nicht ganz unbedeutendem Umfang. Im Zweifel müssen im Übrigen zu erwartende Verbesserungen des Gesundheitszustandes mit dafür hinzunehmenden Nachteilen, z. B. Nebenwirkungen von Medikamenten, abgewogen werden.
Rz. 18a
Ein nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließender Schaden bedeutet mehr als schlicht wahrscheinlich, aber weniger als an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei größerer Nähe zu letzterem. Die Beweislast dürfte beim Leistungsträger liegen.
Rz. 19
Nach Abs. 2 Nr. 2 dürfen mit erheblichen Schmerzen verbundene Untersuchungen und Heilbehandlungen abgelehnt werden. Schwierigkeiten bereitet schon die Definition von Schmerzen, weil es sich dabei um ein subjektiv unterschiedliches Empfinden handelt. Auch lässt sich eine allgemein gültige Definition angesichts des steten Wandels aufgrund der fortschreitenden medizinischen Erkenntnisse kaum finden. Der Gesetzgeber hat sich jedoch dazu entschieden, ein Ablehnungsrecht nur bei erheblichen Schmerzen einzuräumen und damit einen zusätzlichen unbestimmten Rechtsbegriff hinzugefügt. In der Verwaltungspraxis wird hingegen zu berücksichtigen sein, dass Schmerzen nicht mehr empfunden werden, wenn Schmerzmittel bis hin zur Vollnarkose eingesetzt werden. Es bedarf daher jeweils einer individuellen Abwägung. Die Ablehnung einer Mitwirkungshandlung wegen hypothetischer Schmerzen aufgrund der Ablehnung von Schmerzmitteln und Narkosen dürfte nur zulässig i. S. d. Nr. 2 sein, soweit sich daraus ein anderer Ablehnungsgrund nach Abs. 1 oder 2 ergibt.
Rz. 20
Die körperliche Unversehrtheit ist durch das Grundgesetz umfassend geschützt. Sie umfasst im Grundsatz jede Einwirkung auf den Körper. Auch unter Berücksichtigung des unbestimmten Rechtsbegriffes erheblicher Eingriffe ist das Ablehnungsrecht auf chirurgische Eingriffe zu reduzieren, die nicht routinemäßig durchgeführt werden, sondern mit Gefahren (Abs. 2 Nr. 1) oder Schmerzen (Abs. 2 Nr. 2) verbunden sind oder aufgrund des Schwierigkeitsgrades der Operation oder eingeschränkter Heilungsaussichten (Abs. 2 Nr. 1) nicht erwartet werden kann, dass der Patient ihr zustimmt. In diesem Sinne ergä...