Rz. 13
Abs. 1 kann nur Antragssteller oder Empfänger einer Sozialleistung betreffen. Für die Entscheidung nach Abs. 1 ist der Leistungsträger zuständig, der auch über Bewilligung oder Ablehnung der Sozialleistung zu befinden hat. In Fällen eines gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Auftrags (§§ 88ff. SGB X) trifft der Auftragnehmer die Entscheidung (z. B. das Jobcenter einer gemeinsamen Einrichtung nach § 44b SGB II). Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende darf aufgrund einer an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Mitwirkungsaufforderung die Leistung gegenüber einem anderen volljährigen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft versagt werden (SG Potsdam, Urteil v. 9.4.2014, S 40 AS 1288/11).
Rz. 14
Abs. 1 betrifft nur Verletzungen der Mitwirkungspflicht nach den §§ 60 bis 62. Es ist nicht erforderlich, dass der Mitwirkungspflichtige seinen Pflichten überhaupt nicht nachkommt, sondern es genügt, wenn die Mitwirkungspflicht nur ungenügend erfüllt wird, so dass jedenfalls daraus Probleme für den Leistungsträger aus seinen Amtsermittlungspflichten entstehen. Damit korrespondiert die weitere Voraussetzung, dass die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird, weil der Betroffene seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt. Zu den Mitwirkungspflichten i. S. v. Abs. 1 gehören nicht alle originären Pflichten, die sich unmittelbar aus einem der Sozialgesetzbücher ergeben, z. B. die Pflicht zur Beschäftigungssuche oder die Pflicht zu Eigenbemühungen als Anspruchsvoraussetzungen für das Arbeitslosengeld.
Rz. 15
Abs. 1 ist nicht anwendbar, wenn durch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht die Aufklärung des Sachverhaltes nicht oder nicht erheblich erschwert wird. Die begehrte Sozialleistung kann also nicht versagt oder entzogen werden, wenn sich der Leistungsträger die erforderlichen Erkenntnisse oder Unterlagen leichter beschaffen kann als der Betroffene, denn dann sind bereits die Mitwirkungsgrenzen des § 65 Abs. 1 Nr. 3 überschritten. Fällt für den Leistungsträger gleicher oder geringfügig höherer Mehraufwand an, reicht dies für die Rechtsfolge des Abs. 1 nicht aus. Für die Rechtsfolge des Abs. 1 kommt es also darauf an, dass der Einzelfall keine Entscheidungsreife erlangt hat. Ein Selbstständiger muss im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sein in einem bestimmten Zeitraum der Vergangenheit erzieltes Einkommen darlegen und nachweisen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 19.2.2015, L 7 AS 234/14 B).
Es liegt keine Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit aus Abs. 1 Satz 1 vor, wenn der Leistungsträger den Sachverhalt nicht hinreichend aufklärt, etwa lückenlose ungeschwärzte Auszüge vom eigenen Konto des Antragstellers nicht anfordert (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 16.11.2022, L 4 AS 832/18).
Rz. 15a
Erhebliches Erschwernis ist ein unbestimmter, gerichtlich voll nachprüfbarer Rechtsbegriff. Das BSG hält eine erhebliche Erschwerung der Aufklärung des Sachverhaltes für gegeben, wenn diese allenfalls durch beträchtlichen Verwaltungsaufwand überwindbar ist (BSG, Urteil v. 26.5.1983, 10 RKg 13/82). Damit wird auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt.
Rz. 15b
Bei Pflichtverletzungen nach § 60 kommt es hauptsächlich auf die Abgabe von Erklärungen und Beibringung von die angegebenen Tatsachen belegenden Unterlagen an. Für das Versäumnis hat der Betroffene Entschuldigungsgründe vorgebracht oder nicht. Im ersteren Fall wird man ihm eine weitere Frist einräumen oder es ist eine Sachlage eingetreten, nach der nunmehr der Leistungsträger aufgrund von Erschwernissen für den Antragsteller oder Leistungsbezieher die benötigten Auskünfte oder Beweisurkunden leichter beschaffen kann (§ 65 Abs. 1 Nr. 3). Im 2. Fall wird die Frist ablaufen, ohne dass eine Rückäußerung erfolgt ist. Im Regelfall werden dann auch die Voraussetzungen des Abs. 1, nicht jedoch schon diejenigen nach Abs. 3 vorliegen. Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass der Leistungsträger nicht erst jetzt darüber befinden darf, ob ohne die Angaben/Unterlagen die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert ist. Diese Überlegung musste schon angestellt werden, bevor der Betroffene (mit Rechtsfolgenbelehrung nach Abs. 3 einschließlich Fristsetzung) zur Mitwirkung angehalten wurde. Zu diesem Zeitpunkt hat der Leistungsträger bei sachorientierter Arbeit auch abgewogen, ob ein Teilverfahren nach den §§ 66, 67 für ihn möglicherweise aufwendiger ist als eigene Sachaufklärung. Diese Abwägung muss zum Ergebnis gehabt haben, dass eigene Ermittlungen aufwendiger wären. Daraus ergibt sich ganz zwanglos ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand. Dagegen darf der Leistungsträger nicht mit der Begründung untätig bleiben, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, also z. B. über einen Widerspruch nicht entscheiden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 19.3.2014, L 13 AS 233/12).
Rz. 15c
Pflichtverletzungen nach § 61 sind daraufhin zu untersuchen, welche Folgen das Versäumnis eines persönlichen Erscheinens für den Leistungs...