Rz. 21
Es ist Gegenstand jeglichen versicherungsrechtlichen Verhältnisses in der Sozialversicherung oder auch jedes Sozialrechtsverhältnisses, materielle Schäden zu vermeiden (so schon BSG, Urteil v. 23.3.1972, 5 RJ 63/70). Abs. 2 sanktioniert die Weigerung, durch Teilnahme an einer Maßnahme nach den §§ 62 bis 64 die Pflicht zur Schadensbegrenzung für den Leistungsträger zu erfüllen. Dementsprechend wohnt Abs. 2 die Idee der Mitverschuldung und der Schadensminderung inne. Versagung und Entziehung i. S. v. Abs. 2 verfolgen übereinstimmend das Ziel, den Betroffenen zu Bemühungen zur Beseitigung der Leistungsvoraussetzungen zu veranlassen.
Rz. 22
Abs. 2 betrifft eine Verletzung der Mitwirkungspflichten nach den §§ 63 und 64 und hat Sanktionscharakter, weil die Anspruchsvoraussetzungen für die zu versagende oder entziehende Leistung vorliegen. Soweit Abs. 2 auch Pflichtverletzungen nach § 62 nochmals aufgreift, sind Untersuchungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung oder Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben gemeint. Das sind Untersuchungen, die auf das Finden einer (besonders) geeigneten Maßnahme für den Betroffenen ausgerichtet sind. Vom systematischen Zusammenhang her betreffen § 62, § 65 Abs. 1 Nr. 2 und § 66 allein das Verhältnis zwischen dem Antragsteller/Bezieher von Sozialleistungen und dem jeweiligen Leistungsträger. Die Anwendung des Abs. 2 setzt deshalb ebenso wie Abs. 1 voraus, dass grundsätzlich die Möglichkeit der Nachholung der Mitwirkung vorhanden ist, damit das Ziel der Vorschrift, die Antragsteller bzw. Leistungsbezieher zur Mitwirkung anzuhalten, erreichbar ist. Eine Sozialleistung muss zumindest beantragt sein, bei den Mitwirkungspflichten handelt es sich nicht um allgemeine soziale Pflichten. Deshalb finden die Vorschriften in Fällen keine Anwendung, in denen der Frage, ob Leistungen an Hinterbliebene zu gewähren sind, ein Sachverhalt vorausgegangen ist, bei dem der Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre, wenn eine Fremdbluttransfusion nicht verweigert worden wäre (BSG, Urteil v. 9.12.2003, B 2 U 8/03 R). Antragsteller und Leistungsberechtigte sollen nach dem Zweck der Mitwirkungsvorschriften mit den darin enthaltenen Obliegenheiten gleichwohl nicht zur Mitwirkung gezwungen werden. Ebenso wie bei klassischen Leistungen, etwa aus einem Versicherungsverhältnis heraus (Krankengeld, Arbeitslosengeld, Rente) bleibt die Entscheidung über die Mitwirkung dem Betroffenen überlassen, auch wenn er durch die Unterlassung der Mitwirkungshandlung dazu beiträgt, entgegen den objektiv vorhandenen Möglichkeiten die Fähigkeit zur selbstständigen Lebensführung sowie die Arbeits-, Erwerbs- und Vermittlungsfähigkeit nicht zu verbessern oder gar zu beeinträchtigen, also seine individuellen Interessen verletzt. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtfertigung einer Versagung bzw. Entziehung der Leistung nicht infrage zu stellen.
Rz. 23
Die Vorschrift betrifft nur Antragsteller auf oder Bezieher von Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit und damit Personen, bei denen Heilmaßnahmen und Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben potenziell geeignet sind, um die Erwerbsfähigkeit oder Fähigkeit zur selbstständigen Lebensführung zu stabilisieren oder zu verbessern.
Rz. 23a
Die Einholung der ärztlichen Bescheinigung als Nachweis eines Mehrbedarfs einer kostenaufwändigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II ist ein eigenes Geschäft des Antragsstellers nach §§ 677, 683 BGB im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 (SG Magdeburg, Urteil v. 2.9.2021, S 7 AS 940/17). Das Ausstellen einer ärztlichen Bescheinigung durch den behandelnden Arzt des Antragsstellers als Nachweis für den Mehrbedarf einer kostenaufwändigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II stellt demnach keine Untersuchungsmaßnahme nach § 62 dar. Die durch die Einholung der ärztlichen Bescheinigung entstandenen Kosten sind im Rahmen der Mitwirkungspflicht nach § 60 des Antragsstellers nicht von dem Leistungsträger zu erstatten, soweit die Kosten nicht entgegen § 65 Abs. 1 SGB I in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommen Sozialleistung stehen. § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I bezieht sich auf die Zweck-Mittel-Relation und konkretisiert maßgeblich den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 28.3.2013, B 4 AS 42/13 R). Dies gilt entsprechend dem Gesetzeswortlaut für Leistungen wie Erstattungen. Es ist daher abzuwägen, inwieweit die Interessen des Leistungsträgers an der Mitwirkungshandlung in einer angemessenen Relation zum Interesse des Antragstellers bzw. Leistungsbeziehers stehen, wobei sowohl objektive als auch subjektive Kriterien zu berücksichtigen sind (so schon BSG, Urteil v. 20.3.1981, 8/8a RU 46/80). Maßgeblich ist wie stets bei der Ermittlung des Inhalts eines unbestimmten Rechtsbegriffes ("angemessen") eine Einzelfallbetrachtung. Unter Berücksichtigung der G...